Zwillingsbrut
schneller, den Geräuschen nach zu urteilen.
Doch als sie über die Schulter blickte, sah sie niemanden. Sie erhöhte ihr Tempo. Es war Zeit, nach Hause zu kommen, nach einer warmen Dusche würde es ihr wieder bessergehen. Nur noch drei Tage Schule, dann fingen die Ferien an –
Doch die Schritte kamen näher. Wurden schneller. Wieder drehte sie den Kopf und schaute sich um. Der Weg hinter ihr war leer. Die feinen Härchen in ihrem Nacken sträubten sich.
Das bildest du dir nur ein, Jocelyn. Da ist nichts Unheimliches.
Sie ignorierte ihre brennenden Lungen und krampfenden Waden und fiel in einen Sprint, eilig rannte sie durch die Bäume. Vereinzelte Parklaternen durchschnitten die Dunkelheit mit schummerigen Lichtkegeln, hinter denen verschwommen die schwarzen Silhouetten der kahlen Bäume auf der winterbleichen Rasenfläche aufragten.
Jetzt dreh nicht durch. Es gibt keinen Grund zur Panik. Auch wenn du dein Handy nicht dabei hast, musst du dir keine Sorgen machen.
Der Schweiß brach ihr aus allen Poren.
Die Straße am Parkausgang war schon ganz in der Nähe, dahinten kam schon der Wanderparkplatz in Sicht. Nur noch ein kleines Stück …
»Oh!«
Jetzt sah sie flüchtig den anderen Jogger, einen großen, durchtrainierten Mann, von Kopf bis Fuß in einen schwarzen Sportanzug gehüllt. Er trug eine Skimaske.
Ihr Herz machte einen Satz.
Hab keine Angst. Lass ihn einfach vorbei.
Adrenalin schoss durch ihre Adern. Sie steigerte ihre Geschwindigkeit noch mehr, rannte jetzt in vollem Tempo, immer schneller und schneller setzte sie ihre Füße auf den Asphalt, bis sie kaum noch Luft bekam.
Es ist alles in Ordnung. Es ist alles in Ordnung …
Doch war es das wirklich?
Er schloss rasch zu ihr auf. Panik durchflutete sie.
Jetzt war er so nah, dass sie ihn atmen hören konnte. Kräftig. Gleichmäßig –
Die Spitze ihres Joggingschuhs verfing sich, sie strauchelte und ruderte heftig mit den Armen. Es gelang ihr, sich zu fangen, bevor sie zu Boden stürzte, und irgendwie die Balance wiederzufinden, doch sie war aus dem Tritt gekommen.
»Vorsicht«, sagte eine tiefe Stimme hinter ihr.
O mein Gott, er war nur noch zwei Schritte entfernt!
Sie biss die Zähne zusammen. Zwang sich, ruhig zu bleiben.
Ihr Herz raste.
Sie bewegte sich auf den Parkausgang zu, den Gipfelweg entlang, der so dicht am Abgrund entlangführte. Sie hoffte, er würde die andere Richtung einschlagen, doch er blieb direkt hinter ihr, lief ebenfalls den steilen Hügel, der Boxer Bluff genannt wurde, hinunter. Vielleicht sollte sie einfach stehen bleiben und ihn überholen lassen.
Wenn sie nur ihr Handy hätte!
Oder das Pfefferspray, das sie in ihrer Handtasche aufbewahrte.
»Rechts von dir«, sagte er, schloss zu ihr auf und passte seine Geschwindigkeit der ihren an. Das war die Gelegenheit, sich zurückfallen zu lassen. »Macht’s Spaß, Josie?«, erkundigte er sich.
Josie?
Beinahe wäre sie wieder gestolpert. Er kannte sie?
»Du solltest vorsichtig sein.« Seine Schulter stieß gegen ihre.
Sie verlor das Gleichgewicht und ging zu Boden, doch er fing sie im letzten Augenblick auf; seine starken Finger umschlossen ihren Oberarm.
»Ich hab dir doch gesagt, du sollst
vorsichtig
sein!«, wiederholte er und verstärkte schmerzhaft seinen Griff.
»Lassen Sie mich los! Wer sind Sie?«, fragte sie außer Atem, als sie beide stehen blieben. Er atmete geräuschvoll hinter seiner Skimaske.
»Das weißt du nicht?« Seine Finger drückten zu, als wollte er sie dafür bestrafen.
»Nein, ich weiß nicht, wer Sie sind. Lassen Sie mich los … He!« Er riss grob an ihrem Arm. »Was tun Sie da?« Doch sie wusste es. In diesem Moment wurde ihr klar, dass er vorhatte, sie umzubringen. »Lassen Sie mich los!«, schrie sie ihn an. Ihre Füße gerieten ins Rutschen, als er sie vor sich herschubste, und noch bevor sie wusste, wie ihr geschah, stand sie vor der niedrigen Steinbrüstung am Abgrund zur Klamm. »Nein! Tun Sie das nicht! Hilfe!
Hilfe!
« Jetzt, da sie wusste, was er vorhatte, setzte sie sich erbittert zur Wehr.
Nein, das durfte nicht passieren! Er durfte sie nicht umbringen!
Voller Panik schlug sie um sich und versuchte, das Gleichgewicht zu halten. Er stieß sie grob gegen die Brüstung, brach ihr die Schienbeine. Heftiger Schmerz schoss von unten durch ihren ganzen Körper.
»Nein!« Sie kämpfte mit aller Kraft gegen ihn an, doch vergeblich. Er drängte sie über das niedrige Geländer, bis sie von ihrem eigenen Gewicht in die Tiefe
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