Zwillingsbrut
Tasse Kaffee wieder aufzufüllen. Die ganze Cafeteria war das, was Pescoli »joellig« nannte: Überall blinkten Weihnachtslichter, in der Mitte eines jeden Tisches standen kleine Schneemänner, Tannenzweiggirlanden mit Schmuckbändern umrahmten die Tür, und die normalen weißen Servietten neben der Kaffeemaschine waren durch rote und grüne ersetzt worden.
Doch dabei würde Joelle es nicht belassen, ahnte Pescoli; schon bald würde die festliche Dekoration die Flure, Büros und den Empfangsbereich überschwemmen, wo bereits ein drei Meter hoher Tannenbaum nur darauf wartete, geschmückt zu werden, direkt hinter der schusssicheren Glasscheibe, die man vergangenes Frühjahr dort eingebaut hatte.
»Ich war um sieben kurz hier, danach hatte ich außerhalb zu tun«, redete sich Pescoli heraus und ärgerte sich sofort über sich selbst. Was sollte das denn, sie musste sich doch nicht vor der Rezeptionistin rechtfertigen!
»Nun, du bist nicht die Einzige, die nicht erschienen ist.« Joelles Augen funkelten, und Pescoli, der schlagartig klarwurde, dass sie noch lange nicht aus der Sache raus war, stöhnte innerlich auf. »Also …« Joelle nahm einen Korb, dekoriert mit Zuckerstangen, und hielt ihn hoch über ihren Kopf. Erwartete sie wirklich, dass Pescoli mogeln und versuchen würde, heimlich einen der zusammengefalteten Papierschnipsel zu mopsen, um herauszufinden, welcher Name daraufstand, um ihn gegebenenfalls wieder zurückzulegen? Eigentlich keine schlechte Idee.
»Und alle machen mit? Im Ernst?«, fragte Pescoli misstrauisch.
»Selbstverständlich!«
»Sogar der Sheriff?«
»Sogar der Sheriff.«
»Was ist mit Rule?«, hakte Pescoli nach. Kayan Rule, ein großer und kräftiger Afroamerikaner, würde wohl kaum einen Sinn für derartigen Unfug haben.
»Er hat sein Los bereits heute Morgen gezogen, genau wie Selena.«
Na großartig,
dachte Pescoli, dann hob sie folgsam den Arm und griff in den Korb, wo sie einen der wenigen verbliebenen Schnipsel mit den Fingerspitzen herausfischte. Zu oft schon hatte man ihr vorgeworfen, nicht teamfähig zu sein.
»Wunderbar!« Joelle war sehr zufrieden mit sich. »Und jetzt vergiss nicht, ihm oder ihr bis Weihnachten kleine Geschenke zuzustecken, mindestens eins pro Woche!«
Pescoli faltete den kleinen Streifen auseinander und las den Namen:
Cort Brewster.
Ihr drehte sich der Magen um.
»Ich muss noch einmal ziehen!«, platzte sie heraus.
Joelle drückte den Korb an sich und zog herablassend eine ihrer perfekt gezupften Augenbrauen in die Höhe. »Umtauschen gilt nicht, Detective. Das passiert nun mal, wenn man zu spät kommt.«
Pescoli wollte widersprechen, doch dann beschloss sie, wegen einer so unbedeutenden Sache nicht vor Joelle zu Kreuze zu kriechen. Als sie den Aufenthaltsraum mit seinen festlichen Schneemännern und blinkenden Lichtern verließ, um zu Alvarez’ Schreibtisch zu gehen, hätte sie beinahe ihre Tasse Kaffee vergessen.
Wie gewöhnlich war ihre Partnerin in Papierkram vertieft. »Tausch mit mir«, bat Pescoli.
»Wie bitte?« Alvarez blickte auf.
»Beim Weihnachtswichteln. Bitte, tausch mit mir.«
Ausnahmsweise einmal brach Selena in lautes Gelächter aus. »Auf gar keinen Fall.«
»Ich meine es ernst.«
»Ich auch.«
»Das Ganze ist doch lächerlich«, brummte Pescoli.
»Dann muss es dich doch auch nicht kümmern. Kauf einfach ein paar Süßigkeiten oder eine DVD oder irgendetwas, leg es auf Brewsters Schreibtisch und lass es gut sein.«
»Du weißt es?«
»Ich bin Detective. Kein anderer Name hätte dich so auf die Palme gebracht.« Sie grinste. »Das könnte doch lustig werden.«
»So einfach ist das nicht«, widersprach Pescoli und dachte an das Debakel im letzten Jahr, als Jeremy eingebuchtet worden war. Damals war er mit Heidi Brewster zusammen gewesen, und ihr Vater war eingeschritten. Pescoli nicht, was ihr Sohn ihr nie verziehen hatte. Cort Brewster auch nicht. Er schien Pescoli nicht nur für das schlechte Benehmen ihres Sohnes, sondern auch für das seiner eigenen Tochter verantwortlich zu machen.
»Natürlich ist es das. Sonst klink dich halt aus.«
»Joelle hat gesagt –«
»– dass das Pflicht ist? Ernsthaft? Weihnachtswichteln? Das kann ich mir nicht vorstellen, aber ich werde sicherheitshalber noch einmal im Polizeihandbuch nachsehen.«
»Tu das«, erwiderte Pescoli gereizt.
Alvarez’ Grinsen wurde breiter, und sie schüttelte bedächtig den Kopf. »Überhaupt … seit wann hörst du eigentlich auf
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