Zwillingsbrut
aufbewahrte, also bin ich zu ihr nach Hause gefahren. Ihr Wagen stand da, wo er immer steht. Ihre Handtasche lag in der Wohnung. Als ich von der unbekannten Joggerin erfuhr, die im Park auf dem Boxer Bluff verunglückt war, habe ich mich an die Polizei gewandt.« Er warf ebenfalls einen Blick zurück auf das Krankenhaus, dessen drei Stockwerke in den grauen, schneeverhangenen Himmel ragten.
»Dann hat man Sie also gebeten, sie zu identifizieren.«
»Ja.«
»Die beiden Beamtinnen sind von der Mordkommission.«
»Ich weiß. Und ich verstehe es nicht«, gab er zu. »Als wir hier ankamen, hat sie doch noch gelebt! Ich war der felsenfesten Überzeugung, dass es sich um einen Unfall handelte.«
»Ich auch.« Kaceys Augenbrauen zogen sich kurz zusammen, dann zwang sie sich erneut zu einem Lächeln. »Nun, grüßen Sie bitte Eli von mir.«
»Das werde ich tun.«
Sie drehte sich um und eilte in ihren schwarzen Stiefeln über den Parkplatz zu einem silbernen Ford Edge. Nachdem sie die Tür geöffnet hatte, drehte sie sich noch einmal um, dann stieg sie ein. Kaum eine Minute später setzte sie zurück, riss das Lenkrad herum und schoss vom Parkplatz, ihre Rücklichter verschmolzen mit dem dahinfließenden Verkehr.
Trace hatte nicht einmal bemerkt, dass er wie angewurzelt stehen geblieben war und ihr hinterhergeblickt hatte, bis die beiden roten Lichtpunkte nicht mehr zu sehen waren. Endlich stieg auch er ein und ließ den Motor seines Chevys an.
Seltsam, wie attraktiv er Elis Ärztin fand.
Bei dem Gedanken runzelte er die Stirn. Dr. Acacia Lambert war für ihn tabu. Außerdem hatte sie etwas an sich, das ihn an Leanna, Elis Mutter, erinnerte, und das genügte, um überzeugter Single zu bleiben. Zum Glück war er nur kurz mit ihr verheiratet gewesen, und durch sie hatte er einen Sohn bekommen, auch wenn er nicht der biologische Vater des Jungen war.
Doch das zählte nicht.
Er würgte den Rückwärtsgang rein, stellte die Scheibenwischer an und beobachtete, wie sie die zentimeterdicke Schneeschicht von der Windschutzscheibe fegten. Dann setzte er den Chevy aus der Parklücke, warf einen letzten Blick zurück auf das St. Bart Hospital und dachte an Jocelyn Wallis, die Lehrerin seines Sohnes, die Frau, mit der er geschlafen hatte. Jetzt war sie tot. Er schob den Unterkiefer zur Seite. Das war nicht fair. War sie wirklich ausgerutscht und in die Klamm gestürzt? Handelte es sich tatsächlich um einen Unfall oder, so fragte er sich, hatte jemand nachgeholfen und sie über die niedrige Brüstung gestoßen in der Hoffnung, sie würde unten im Fluss enden?
Aus welchem anderen Grund würde die
Mordkommission
ermitteln?
War sie ein zufälliges Opfer, oder war sie ein bewusst ausgewähltes Ziel?
Es schneite jetzt heftig; die Schneedecke auf der Straße und auf den umstehenden Bäumen und Sträuchern wurde immer dicker. Anstatt direkt zurück zur Ranch zu fahren, wie er ursprünglich vorgehabt hatte, bog er in die Straße ein, die sich den Hügel hinauf zum Park wand. Die Straße war steil; der alte Motor heulte auf, die Reifen drehten durch. Oben angekommen, stellte er den Wagen auf dem kleinen Wandererparkplatz kurz vor dem Parkeingang ab und ging den Gipfelweg, der zu Jocelyns Joggingstrecken gehört hatte, entlang bis zu der Stelle, von der aus man ihre Leiche entdeckt hatte.
Die Hände tief in den Jackentaschen vergraben, starrte er auf die niedrige, zerbröckelnde, mit Schnee und Eis bedeckte Mauer. Tief unter ihm brodelte der Fluss, dessen zorniges Tosen in seinen Ohren widerhallte. Trace betrachtete die Schneedecke auf dem Felsvorsprung, zerfurcht von Reifenspuren und voller Fußabdrücke, auf die sich nun neue Flocken senkten.
»Was ist nur passiert?«, flüsterte er und verspürte einen Anflug von Schuld. Was, wenn er da gewesen wäre und ihren Anruf entgegengenommen hätte? Was, wenn er sich mit ihr getroffen hätte? Hätte er irgendetwas, ganz gleich wie unbedeutend, tun können, um den Verlauf der Geschichte zu ändern? Hätte ein anderes Timing sie retten können?
»Es tut mir leid«, sagte er laut, wenngleich er sich nicht einmal sicher war, warum. Ihr Tod war eine solche Verschwendung.
Er riss den Blick vom Fluss los und richtete ihn auf den Park, in dem Fichten, Kiefern und Hemlocktannen mit vereisten Nadeln standen und Espen ihre nackten Zweige in den Himmel reckten. Zwei Frauengrüppchen mit Mützen und Handschuhen gingen schnellen Schrittes vorbei, ein Mann joggte, ein junges Paar, das Baby in einem
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