Zwillingsbrut
zwang sich zu einem Lächeln, auch wenn ihr ganz und gar nicht danach zumute war.
Was hatte sie da bloß für einen Fehler gemacht! Er bat sie nur herein, weil er höflich sein wollte, das war alles. Doch jetzt gab es kein Zurück mehr; sie würde sich einfach so schnell wie möglich entschuldigen und auf den Heimweg machen. Beklommen trat sie in die Diele und hörte donnernde Schritte.
Zwei Mädchen um die sieben, eineiige Zwillinge, bogen um die Ecke. Eine war rosa gekleidet, die Haare von einem passenden Haarband aus dem Gesicht gehalten, die andere, ganz in Grün, trug einen Pferdeschwanz, aus dem sich einzelne Strähnen lösten. Sie lächelte, und Alvarez bemerkte die Lücke in ihren Schneidezähnen.
»Mädchen, das ist Detective, ähm, Ms. Alvarez«, stellte er sie vor, dann, an Selena gewandt: »Selena, das sind McKenzie und Mallory.«
»Hi«, sagte das Mädchen in Rosa, McKenzie. Ihre Schwester starrte Alvarez kritisch an. Plötzlich waren weitere Schritte zu vernehmen. Eine Frau, die einer Fünfziger-Jahre-Sitcom hätte entsprungen sein können, trat zu ihnen. Groß, schlank, mit hohen Absätzen und einem wie angegossen sitzenden Etuikleid, bedachte sie Alvarez mit einem strahlenden Lächeln.
»Ich bin Hattie«, begrüßte sie sie mit warmer Stimme. Sie trug tatsächlich eine Perlenkette und hatte eine dieser zarten, völlig überflüssigen Schürzen um ihre Wespentaille gebunden. Ihr Haar war zurückgekämmt und mit einem eleganten Kamm festgesteckt.
»Selena«, stellte sich Alvarez vor und reichte Hattie, die ganz offensichtlich die Gastgeberin war, peinlich berührt die Weinflasche.
»Ich freue mich, dass Sie es geschafft haben, noch dazu rechtzeitig!«, rief diese und fuhr, an Grayson gewandt, fort: »Nun nimm ihr doch bitte mal den Mantel ab. Meine Güte, Dan, also wirklich!« Sie blickte auf die Flasche. »Cabernet! Mein Lieblingswein!«
Rette mich!,
flehte Alvarez innerlich, reichte Grayson ihren Mantel und folgte Hattie ins Esszimmer. Auf dem Tisch lag eine sorgfältig gebügelte Decke, frisches Grün und ein Preiselbeerzweig waren rund um die dicken weißen Kerzen in der Mitte dekoriert. Vier Platzteller aus Porzellan standen auf den Tischsets und schrien förmlich heraus, dass man sie nicht erwartet hatte.
»Dan, kannst du die bitte öffnen?«, fragte Harriet und reichte ihm mit einem Zwinkern die Flasche, dann verschwand sie durch einen Durchgang, vermutlich in die Küche.
»Alles klar!« An Selena gewandt, erklärte er: »Hattie ist … war … meine Schwägerin. Die Mädchen sind meine Nichten.«
»Oh.«
Das erklärte nicht viel, und als habe er ihr ihre Verwirrung angemerkt, fügte er hinzu: »Hattie ist die Schwester meiner Ex-Frau.«
Ach du liebe Güte, das wurde ja immer komplizierter!
Sie gingen in die Küche, wo Hattie einen weiteren Teller aus dem Schrank nahm. Auf der Anrichte stand ein perfekt gebratener Truthahn, daneben eine offene Flasche Chablis mit zwei nicht zueinanderpassenden Weingläsern.
Alvarez stöhnte innerlich, während Hattie in der Besteckschublade klapperte und Messer, Gabel und Löffel zusammensuchte.
Mach das Beste daraus,
ermahnte sie sich.
Halte einfach die nächsten Stunden durch und lächle. Auch wenn das hier dein ganz persönlicher Alptraum ist, du schaffst das. Wie schwierig kann ein bisschen Smalltalk schon sein, verglichen mit der Suche nach Hinweisen zum Tod von Jocelyn Wallis oder den Ermittlungen am Tatort eines sadistischen Killers? Es ist doch nur ein Essen –!
»Dan, warum fängst du nicht schon mal an, den Truthahn zu tranchieren?«, schlug Hattie vor, während Grayson den Rotwein öffnete.
»Gute Idee.«
Alvarez steckte die Nase in das Glas, das er ihr anbot. Diese Seite hatte sie noch nie an Grayson gesehen. Den entspannten Familienmenschen. Ja, was hatte sie denn gedacht?
Hattie glasierte die Süßkartoffeln bis zur Vollendung, dann rührte sie die Bratensoße für die Kartoffeln an. Preiselbeersoße und eine Kürbis-Pie kühlten auf dem Tresen ab. Martha Stewart, Amerikas berühmte Vorzeigehausfrau, war nichts gegen Graysons Schwägerin. So viel häuslicher Perfektionismus war einfach zu viel für Alvarez. Warum war sie bloß hierhergekommen? Sie kam sich wie ein Eindringling vor.
Sie nahmen am Tisch Platz; Alvarez den Zwillingen gegenüber, Grayson an einem Ende des Tisches, Hattie am anderen. In Gedanken spielte Alvarez alle möglichen Fluchtmöglichkeiten durch. Hattie bestand darauf, dass die Mädchen ein Dankgebet
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