Zwillingsbrut
begrüßte – vorbei zur Tür. Grizz, erstarrt für alle Ewigkeiten, das Maul geöffnet zu einem endlosen Knurren, bei dem er seine gewaltigen Zähne entblößte, war für gewöhnlich der Jahreszeit entsprechend gekleidet. Auch heute machte er keine Ausnahme: Er trug eine weiße Haube und einen Pilgerkragen über seinem zotteligen Pelz, als wäre er eine Pilgerin. Zu seinen großen krallenbewehrten Füßen lagen verschiedene Kürbisse und ein überquellendes Füllhorn; ein ausgestopfter Truthahn lugte um die getrockneten Getreidehalme, die rund um den Bären drapiert waren.
»Wie putzig«, murmelte Pescoli.
Alvarez drückte die Glastür mit der Schulter auf. Ein Schwall eisiger Winterluft traf sie ins Gesicht. Der Gehsteig war freigeschaufelt und gestreut, der Asphalt schimmerte durch die angeschmolzene Eisschicht. Das Dröhnen der Wasserfälle war noch über den Verkehrslärm hinweg zu vernehmen. Die Passanten waren in dicke Jacken und Mäntel gehüllt, die meisten von ihnen hatten Schals umgebunden und Mützen bis tief über die Ohren gezogen. Manche jonglierten mit Paketen, andere hielten die in Fausthandschuhen steckenden Hände ihrer Kinder fest. Ein paar drückten sich rauchend in den Eingangsbereichen der Geschäfte herum, die, bereits mit Zedernkränzen, roten Schleifen und glänzenden Lichtern geschmückt, weihnachtliche Stimmung verbreiteten. Es hatte aufgehört zu schneien, doch die tief hängende Wolkendecke ließ keine Sonnenstrahlen durch.
Beide Detectives waren mit ihrem eigenen Fahrzeug gekommen. Alvarez war noch vor Tagesanbruch im Büro des Sheriffs gewesen und hatte Pescoli angerufen, die bereit gewesen war, sich mit ihr zu treffen, obwohl sie eigentlich frei hatte. »Du weißt, dass ich heute nicht arbeiten muss«, sagte diese daher, als sie an ihrem Jeep ankamen.
»Ich dachte nur, du wolltest gern auf dem neuesten Stand sein«, erwiderte Alvarez.
»Nun, da hast du recht. Die Kinder sind bei Lucky, also ist es keine große Sache. Michelle wollte ohnehin mit Bianca shoppen gehen.«
»Hast du nicht gesagt, sie hätte finanzielle Probleme?«
»Ja, schon, aber es ist doch Schwarzer Freitag, der Tag nach Thanksgiving, an dem man kaufen kann, bis die Kreditkarte glüht – da gibt es keinerlei Limit.« Sie zögerte, die Hand am Türgriff. »Ich schätze, du willst diesen heiligen Shopping-Tag im Büro verbringen?«
»Ja.«
»Und die Nacht vermutlich auch.«
»Während der Feiertage schnellt die Zahl der häuslichen Auseinandersetzungen für gewöhnlich dramatisch in die Höhe.« Das war ein Trend, der sich nie zu ändern schien. Man nehme ein paar Verwandte, biete ihnen zu essen und zu trinken an, und ruck, zuck reißen alte Wunden wieder auf. Befeuert von ein bisschen Alkohol und einer griffbereiten Waffe, können die Dinge in rasantem Tempo außer Kontrolle geraten. Hatte sie das nicht oft genug in ihrer eigenen Familie miterlebt? »Ich hab jede Menge zu tun.«
Pescoli öffnete die Tür. »Danke, und halt mich auf dem Laufenden.«
»Das mache ich.«
Sie ließ den Motor an, setzte aus der Parklücke und fuhr davon, während Alvarez in eine Seitenstraße in der Nähe des Flusses ging, wo sie ihr eigenes Auto abgestellt hatte. Selbst bei dieser Kälte lehnten Angler am Geländer. Ihre Angelschnüre verschwanden in dem dunklen, aufgewirbelten Wasser tief unter ihnen; ein paar Fußgänger eilten geschäftig den Gehsteig entlang. Alvarez wandte sich vom Fluss ab, machte eine Hundertachtzig-Grad-Drehung und schaute nach oben über die Ladenfronten und Dächer hinweg zum Boxer Bluff. Sie ließ die Augen über den dunklen Hügel schweifen, bis sie ganz oben bei der Unfallstelle im Park hängenblieben. Unweigerlich konzentrierte sie sich auf die bröckelnde Brüstung, über die Jocelyn Wallis in den Tod gestürzt war, doch von hier unten war so gut wie nichts zu erkennen.
War es wirklich ein Unfall gewesen? War es nicht viel wahrscheinlicher, dass man sie in die Tiefe gestoßen hatte?
Hatte es der Killer so eilig, sie tot zu sehen, dass er nicht abwarten konnte, bis das Gift, das er ihr ins Kaffeepulver gemischt hatte, Wirkung zeigte? Sie ging davon aus, dass er nichts von ihrer Herzerkrankung wusste; vermutlich hatte nicht einmal Jocelyn Wallis selbst etwas davon geahnt. Mit Sicherheit aber hatte der Mörder gewusst, dass das Arsen, wenn er es seinem Opfer unbemerkt über einen längeren Zeitraum verabreichen konnte, tödlich war.
»Wer zum Teufel bist du?«, fragte sie laut. Ihr Atem
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