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Zwischen den Gezeiten

Zwischen den Gezeiten

Titel: Zwischen den Gezeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Wallner
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bedankte sich, tat, als kehre sie ins Büro zurück, und verschwand zwischen den Föhren. Dort, wo die Sonne Flekken zwischen die Bäume warf, setzte sie sich ins Moos. Sie hatte ihre Antwort und begriff gleichzeitig nichts.
    Am selben Abend näherte sie sich dem Schloß über den Kiesweg, sah das Emblem der britischen Dienststelle an der verschlossenen Tür. Das wirkliche Kommando lag draußen im Wald, hier unterhielten sie nur eine Repräsentanz, um Gäste zu empfangen.
Ein brauner Hund hob an der Laterne das Bein, Inga spielte mit ihm, bis sein Besitzer ihn rief. Die Krokusse waren längst verblüht.
    Nachts im Bett starrte Inga den Kleiderschrank an, wo sie das Geld hinter der alten Matratze versteckt hatte. Im Einschlafen fiel ihr Henning ein und das Wespennest auf dem Hochsitz. Mit beiden Armen hatte er sie umfangen gehalten und im Schlaf gemurmelt; nun lag er wieder neben Trude. Ob jene einsame Wespe noch lebte?

9
    T ags darauf erledigte sie das meiste bis Mittag, es gelang ihr, den Vier-Uhr-Transport nach Föhrden zu kriegen. Sie wusch Gesicht und Arme im Brunnen, zog das Kleid an der Taille glatt und lief quer über den Rasen. Das Tor der Stadtkommandantur war geöffnet. Ingas Ausweis als C.E. wurde akzeptiert, man schickte sie in den ersten Stock, sie betrat das Büro.Trotz des strahlenden Nachmittags brannten die Deckenlampen und spiegelten sich im gewellten Fensterglas. Vier Schreibtische bildeten eine Gasse, die zur nächsten Tür führte, hinter der jemand Wichtiges sitzen mußte. Der Leutnant war der zweite von rechts, zum ersten Mal sah sie ihn vollkommen in Uniform, die Krücken lehnten in der Ecke. Er blickte auf, zeigte keine Regung, nicht einmal, ob er sie erkannt hatte. Drei weitere Augenpaare waren auf Inga gerichtet, junge Männer im Offiziersrang. Sie machte zwei Schritte, zu laut auf den steinernen Fliesen, und sagte, sie müsse ihn sprechen. Der Leutnant schlug eine Akte auf, gelblich dünnes Papier, bloß ein Durchschlag – was er da arbeitete, war nicht wichtig. In dem halligen Raum sprach er gedämpft, sagte, er habe noch einiges zu erledigen. Die Art, wie er den Stift hielt, zeigte Inga, er las nicht, schaute bloß auf die Zeilen.
    Die Mitteltür öffnete sich mit Schwung, aus dem Halbdunkel trat einer in frisch gebügelter Uniform, sie zählte die Streifen, ein Major – Inga lachte erstaunt, es war der Brillenträger. Er wandte sich zum Offizier nächst der Tür, bemerkte die junge Frau, verharrte, sein Bauch spannte unter der Drillichjacke. »Ach«, machte
er mit Blick zu Hayden, legte ein Papier ab und verschwand wieder.
    Â»Halb sieben im Charlottenhof«, schlug der Leutnant vor, ohne Inga anzusehen. Sie stimmte Zeit und Treffpunkt zu, nicht einmal drei Minuten nach ihrem Eintritt war sie wieder draußen.
    Der Charlottenhof war ein Durchweg zwischen Fachwerkhäusern, früher hatten sich dort Fuhrwerke gedrängt, jetzt standen Tische auf dem Pflaster, abends wurden Petroleumlampen angezündet. Nachdenklich schlenderte Inga zu dem verabredeten Ort. Daß der Brillenträger Offizier war, überraschte sie nicht, vielmehr stellte sie sich die Frage, was die Zusammensetzung der Gruppe bedeutete – der Leutnant, sein vorgesetzter Major, die Frau im Kostüm, der flüsternde Gabor –, die Vier waren mehr als eine Karten- runde. Inga blickte auf, sie wollte nicht gleich in die dämmerigen Gassen, lief am Charlottenhof vorbei und setzte sich am Mariengehölz ins Gras. Sie zog die Kniestrümpfe aus, ihre Waden waren noch weiß von einem langen Winter. Seit Karfreitag hatte Henning sich nicht gemeldet – sonst kam er mehrmals die Woche auf dem Heimweg von der Fabrik vorbei; keine Nachricht seit dem Nachmittag auf dem Jägersitz. Inga lehnte sich auf die Ellbogen, sah Hennings nackten Arm um den Holzstamm gepreßt, die hervortretende Sehne am Hals, seine fröhliche Wildheit. Er undTrude waren lange verheiratet; auch wenn sie wie Bruder und Schwester lebten, würde Henning sie niemals verlassen. Ihr verdankte er, daß die Firma nicht demontiert worden war – er hatte es Inga einmal erzählt –, überall in der Gegend waren Betriebe mit modernen Maschinen als Reparationszahlung konfisziert, abgebaut und verschifft worden. Trude war ins Hauptquartier der Engländer gegangen und hatte sie überzeugt, Henning die Fabrik zu lassen. Er

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