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Zwischen den Gezeiten

Zwischen den Gezeiten

Titel: Zwischen den Gezeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Wallner
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und Trude waren ein Lebensgespann – für Inga blieb die Leidenschaft nebenbei. Sie öffnete das Haar, betrachtete ihre Spange, das Perlmutt war mit den Jahren dunkel wie Bernstein geworden.
    Eine normale Verabredung, redete sie sich ein; ihr gefiel die Idee, den Leutnant an einem Ort zu treffen, wo jedermann hinging. Inga
zog Strümpfe und Schuhe an, lief zurück und setzte sich unter die hölzernen Arkaden.
    Er ließ sie warten. Nach einer halben Stunde wurde sie wütend, doch im Grunde nicht mehr, als sie ständig auf ihn war. Er legte keinen Wert darauf, daß man ihn mochte, schuf Vertrauen, um es bei nächster Gelegenheit zu zerstören. Ständig wurde er unsichtbar. Inga genoß die Vorstellung, daß der Leutnant nur deshalb so bleich war, um mit der nächstbesten Wand verschmelzen zu können.
    Â»Du machst mir Schwierigkeiten.«
    Gereizt stand er unter dem galgenförmigen Giebel, schob das Barett in die Achselklappe, setzte sich und lehnte die Krücken daneben. »Es war dumm von dir, im Schloß aufzutauchen.«
    Sie fragte, ob mit seiner Entlassung aus dem Lazarett auch ihre Bekanntschaft vorbei sei.
    Â»Was gibt es denn noch?« sagte er wie zu sich selbst.
    Er winkte dem Kellner, Kaffee gab es nicht, seufzend bestellte er Bier. Inga wollte von der Madonna erzählen und dem Reichtum in ihrem Schrank. Sie hätte ihn gerne gefragt, wann das nächste Treffen stattfand, wer die Unbekannte im grauen Kostüm sei, statt dessen fiel ihr nichts Besseres ein, als daß sie die Bastlampe wiederhaben müsse. Von den Pflastersteinen stieg es kalt hoch, sie schob ihren Rock zurecht. Er trank in großen Schlucken, schließlich sagte er den erstaunlichsten Satz. »Es ist kein Vergnügen, zu spielen.«
    Er winkte dem Ober, griff, während jener noch rechnete, nach der Krücke, zog Geld aus der Tasche, vertat sich mit den Münzen, der Kellner bedankte sich für das fürstliche Trinkgeld. Der Leutnant hielt die Hand weiter vorgestreckt, seine Augen erhoben, die Lippen zusammengepreßt – am Eingang zum Charlottenhof stand jemand und sah sich um. Dichte Brauen, fleischige Nase; Inga hätte den Mann nicht wiedererkannt, bloß dessen leichten, sich bauschenden Mantel. Es war derselbe, der den Leutnant im Lazarett aufgesucht hatte. Hayden fuhr so heftig herum, daß der Tisch schwankte, seine Augen suchten einen anderen Ausgang. Noch verbarg die Holzarkade ihn vor dem Blick des Mannes.

    Â»Komm.« Instinktiv reichte ihm Inga die zweite Krücke.
    Er begriff, hinter jener Tür, zu der sie ihn drängte, befand sich ein Korridor, Zugang zu den Gassen der Altstadt. So unauffällig er konnte, hievte er sich in die Richtung, setzte das verletzte Bein auf, zog schmerzhaft die Luft ein. Er sah sich nicht um, Inga tat es für ihn. Der im Mantel entdeckte sie in dem Augenblick, als sie durch die Tür schlüpfte, schaute ihr in die Augen – seine Erinnerung kam nicht sofort.
    Inga holte den Leutnant nach wenigen Schritten ein, er wollte den grob gepflasterten Pfad entlang, sie faßte seine Schulter und zeigte zur Holztreppe, die den hochgelegten Mühlbach überwand; dahinter kam die Brücke über das Wehr. Er vertraute ihr, hohl pochten die Krücken auf die Stufen, Inga blieb hinter ihm, hörte ihn keuchen. Der schmale Körper verlor das Gleichgewicht, sie stemmte die Hand in seinen Rücken. Auf der Balustrade mußte Hayden zu Atem kommen – ein Geräusch von unten, die Tür schlug auf, rasche Schritte, der im Mantel verharrte an der Treppe, rauschendes Wasser, Sekunden vergingen. Schritt für Schritt, als sei er sich seiner Entscheidung nicht sicher, lief der Mann in die Gasse hinein.
    Â»Er wird umkehren«, flüsterte Inga. »Dort hinten geht es nicht weiter.« Erschöpft sah Hayden sie an, für einen Moment spürte sie seinen Unwillen, ihr ein weiteres Mal folgen zu müssen. Sie zog ihn zum Gatter, das das Wehr begrenzte, schloß es hinter ihnen und schob den Riegel vor. Der Mühlbach hatte Höchststand, wie immer im Frühling.

10
    D ie Banknoten, auf die Tagesdecke geblättert, bedeckten das halbe Bett. Die meisten Scheine waren braun, manche mit blauem Grund, die hohen, verzierten Ziffern, Zahl und Wert stimmten längst nicht mehr überein. Bedeutungslose Köpfe, die Motive der Rückseiten waren auf der Landkarte inzwischen zerstört. In der Stadt

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