Zwischen den Gezeiten
hatte.
Sie stand vor dem Spiegel, hinter ihr kniete Marianne.
»Wenn es so lang ist, schleift es nach.« »Das macht den Reiz des Kleides aus«, antwortete die Mutter mit zusammengepreÃten Lippen, wegen der Nadeln im Mund kaum fähig zu sprechen. Auf dem gesunden Knie rutschte sie um Inga herum und steckte den Saum Stück für Stück ab. »Das Kleid habe ich mir genäht, als ich schon schwanger war.« Mit einem Seufzer kam Marianne hoch. »Leider haben wir kein blaues Garn, du kannst schwarzes benützen.«
Es saà so knapp, daà Inga flach atmen muÃte. An der rechten Schulter schob sie den Träger zurecht, er lief quer über den Busen und verschwand unter der Achsel. Sie rollte das Schultergelenk, die Kuhle unter dem Muskel gefiel ihr.
Als Marianne davon erfuhr, daà ihre Tochter auf eine Gesellschaft mitdurfte, war sie in die Kammer gestiegen und mit dem Kleid überm Arm zurückgekommen. »Warum ein Engländer?« hatte Erik gefragt. Die Eltern wünschten sich einen unauffälligen Verehrer, jemand, den sie vorzeigen konnten. Nicht genug, daà ein verheirateter Mann ihrer Tochter den Hof machte, jetzt auch noch einer von der Besatzungsmacht.
Inga sprang vom Schemel.
»In diesem Kleid hopst man nicht.« Mit zufriedenem Lächeln zündete sich Marianne eine Zigarette an.
»Ist es nicht aus der Mode?« Stolz drehte Inga sich vor dem Spiegel.
»Es gibt zur Zeit keine Mode .« Die Mutter stippte Asche in die Blumenschale. »Wann kommt er?«
»Nicht bevor es dunkel ist.«
Marianne trat hinter die Tochter und öffnete die Häkchen von oben nach unten. Inga stieà die Luft aus, im Unterkleid rannte sie in die Küche und bestreute ein Stück Brot mit Schnittlauch und Salz.
Aus dem Dampf der Zwiebelsuppe tauchte der Kopf des Vaters auf. »Wie läufst du herum?« Er betrachtete sie durch beschlagene Gläser. »IÃt der Leutnant mit uns?«
Inga lief aus der Küche, um den Saum des Kleides zu nähen. Als sie den Engländer später am Fenster erwartete,war die Suppe längst gegessen. Er tauchte am Gartenzaun auf, fand die Hausnummer nicht und lief vorüber. Er trug die Montur ohne Auszeichnungen, nur den Leutnantsgrad auf den Spiegeln; die Krawatte hatte dieselbe Farbe wie das Hemd, seine Hose war zu kurz. Die englische Uniform lieà kleine Männer dick erscheinen, fand Inga, schlanke Männer formlos. In dem winterlichen Stoff, die Hosen
bis über die Taille gezogen, machte keiner von ihnen viel her. Sie muÃte an früher denken, der scharfe Schnitt der eigenen Grauen , die markante Kontur, jeder Schlaks von einem Offizier hatte darin nach was ausgesehen. Man sah die Jacken noch auf der StraÃe, mit abgerissenen Rangabzeichen trugen die Männer sie heute zur Arbeit. Inga öffnete das Fenster und winkte.
Er begrüÃte die Mutter als erste; das Blumenkleid hatte Marianne seit Horsts Tod nicht mehr getragen. Trotz seines Widerwillens gegen den Besucher hatte der Vater den Flanell gebügelt, trug ein gestärktes Hemd mit blauer Krawatte. Marianne sprach einfaches Englisch; wenn sie nicht weiterwuÃte, lächelte sie reizend. Erik tat, als ob er kein Wort verstand, bemühte sich auch nicht, sondern erwartete, daà die Tochter übersetzte. Sie zeigten es nicht, doch die Eltern waren enttäuscht, daà der Leutnant nichts mitgebracht hatte â Marianne schwärmte für englische Zigaretten. Mit gespannten Schultern standen die Männer einander im Balkonzimmer gegenüber, zum Holunderlikör sagte Hayden nicht nein.
»Was machen Sie im Privatleben?« fragte Marianne.
»Ich bin Konditor.«
Für Inga hätte die Ãberraschung nicht gröÃer sein können. In einem Büro hatte sie ihn sich vorgestellt, als technischer Zeichner oder Konstrukteur â unwillkürlich betrachtete sie seine Hände und malte sich aus, wie diese Finger Kuchen verzierten.
Erik sagte, er sei erstaunt, daà Engländer überhaupt etwas vom Backen verstünden. Inga signalisierte ihm, nicht so direkt zu sein.
»Was iÃt man bei Ihnen denn SüÃes? « beharrte der Vater.
»In den Hilfspaketen, die Sie nach der Kapitulation bekommen haben, waren Scones drin«, konterte der Leutnant. »Englisches Teegebäck, wissen Sie noch?«
Das Schweigen dauerte mehrere Sekunden, Erik strich das Revers entlang, als vermisse er das
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