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Zwischen den Gezeiten

Zwischen den Gezeiten

Titel: Zwischen den Gezeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Wallner
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sprachen sie davon, es werde anderes Geld kommen, die Engländer im Lager schwiegen dazu. Die Madonna war dauerhafter als die abgegriffenen Scheine, dachte Inga, andererseits konnte man das Papier nehmen und sein Glück damit wagen. Vielleicht gewann es am Spieltisch seinen alten Wert zurück. Ihr Finger malte die Nullen auf dem Schein nach.
    Unbehelligt hatten sie das Mariengehölz erreicht, mißmutig war der Leutnant in dem heiteren Waldstück gesessen, das kranke Bein auf dem moosigen Boden ausgestreckt. Er sprach wenig, erklärte nichts, antwortete auf Ingas drängende Fragen nicht mehr als: »Ich schulde Geld. Sie warten nicht gerne darauf.«
    Inga hatte auf den Resten einer vermodernden Pappel gehockt, den Blick ins Efeugeranke erhoben, das den Baum fast verschlang.
    Â»Ich habe es einmal gesehen«, sagte der Leutnant unvermittelt. »Ein Badeort im Süden. Neununddreißig Stunden wurde ununterbrochen gespielt. Alles Bargeld wanderte zum Gewinner, auch die Jetons. Keiner wollte aufhören. Als die dritte Nacht anbrach, schrieben sie ihre Verbindlichkeiten auf Bierdeckel und Zeitungsecken, aus der Hotelbibel wurden Seiten gerissen und bekritzelt. Der große Coup ist schon vorgekommen«, nickte er, als halte er
Ingas Schweigen für Widerspruch. »Leute, die in einer Nacht das Geld eines Lebens mitnahmen.«
    Â»Der große Coup! « Ihr gefiel das Wort. Sie erwog, ihm von der Reisetasche im Kleiderschrank zu erzählen, gleichzeitig wußte sie, deutsches Geld war für ihn ohne Wert.
    Â»Nimm mich beim nächsten Mal mit.«
    Â»Macht dir das keine Angst?« Er hatte auf sein Knie gezeigt.
    Â»So viel könnte ich nie verspielen, daß man mich aus dem Auto wirft.«
    Zum ersten Mal, seit sie ihn kannte, hatte er herzlich gelacht. Sie erinnerte sich, daß die Abendsonne Farbe in seinem Gesicht vorgetäuscht hatte.
    Â»Ja. Ich könnte dich mitnehmen«, war seine Antwort gewesen. »Vielleicht tue ich es. Du bist jemand, der das Zeug hat, Glück zu bringen.«
    Inga hatte Moos und Zweige vom Kleid gewischt, noch niemand hatte ihr so etwas Schönes gesagt. Als sie die Wiese verließen, wurde es dunkel.
    Inga stand auf, ein Blick auf die gebündelten Scheine, sie ging aus dem Zimmer und strich leise durchs Haus. Ihre Augen wanderten über die wenigen Dinge, die ihre Eltern nicht das Herz hatten zu verkaufen – Bilder in schweren Rahmen, ineinandergeschobene Beistelltische, die klobige Nußholzanrichte. In der Küche bückte sie sich zur untersten Schublade, das Besteck von Mariannes Familie wurde noch aufgehoben, falls es ganz schlimm kam, sie betrachtete die Silberpunzen auf den Messerhälsen, das Blumenmotiv der Gabeln. Es kam nicht in Frage.
    Â»Für den großen Coup braucht man Betriebskapital«, hatte der Leutnant beim Abschied gesagt. »Wer klein pointiert, schwingt sich auf keinen grünen Zweig.« Sie wünschte sich, etwas für ihn zu tun.
    Hatte die Mutter gerufen? Erschrocken stieß Inga die Lade zurück. Marianne war im ersten Stock, unmittelbar vor dem Mädchenzimmer.

    Â»Ich räume die Wintersachen aus«, rief sie von oben.
    Inga rannte aus der Küche, war an der Treppe, sah, wie die Mutter den vollen Wäschekorb auf die Tür zuschleppte.
    Â»Das ist zu schwer für dich!« Sie nahm drei Stufen auf einmal.
    Gerade als Marianne mit dem Ellbogen die Klinke drückte, holte Inga sie ein und riß ihr den Korb aus den Händen.
    Die Mutter witterte ein Geheimnis, doch bestimmt nicht das Bündel Reichsmark auf Ingas Bett. »Tun wir deine Sachen doch gleich dazu«, schmunzelte sie.
    Â»Ich will erst einiges aussortieren«, antwortete Inga atemlos.
    Die Mutter ließ die Sache als Hilfsbereitschaft gelten und kehrte mit ihrem kleinen Hinken zur Treppe zurück. »Henning hat sich nach dir erkundigt.«
    Â»Wann?« Der Korb im Arm wurde schwer.
    Â»Gestern vor dem Abendbrot.« Marianne setzte das gesunde Bein auf die oberste Stufe. »Ich wußte nicht, was ich sagen sollte – wo du warst.«
    Inga wollte ihr nachrufen, sich erkundigen – und schwieg. Mit dem Rücken drückte sie die Tür auf, stellte den Korb zu Boden, kniete sich aufs Bett und raffte das Geld zusammen. Während sie es in die Tasche stopfte, dachte sie, das Beste wäre, sich Henning anzuvertrauen; gleichzeitig war sie froh, daß er sie daheim nicht angetroffen

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