Zwischen den Gezeiten
geschlungen, sah Inga die Frau im grauen Kostüm â sie bekam ein hohes Blatt, genuÃvoll zog sie an der schwarzen Zigarette.
8
E s war eine alte Madonna, die Familie sagte Barockmadonna zu ihr, obwohl Erik erwähnt hatte, sie stamme von einem Schnitzer aus dem Spätmittelalter. Die Statue wurde weder aufgestellt noch verkauft, wahrscheinlich holten die Eltern sie nicht vom Speicher, weil der Bauer zu wenig dafür gegeben hätte. Ihr Mantel war blau bemalt, sie neigte den Kopf, das Jesuskind konnte man abnehmen.
Als Inga die Madonna aus dem Schrank hob, fiel das Zepter zu Boden, sie blies den Staub fort und steckte es wieder in die geöffnete Hand. Das wird ohnehin einmal dir gehören â der Satz des Vaters gab ihr das Recht, die Madonna in die kleine Reisetasche zu legen, mit Watte zu bedecken und aus dem Haus zu tragen. Sie nahm die Vordertür, ein Blick über den Zaun â das Bild erschien Inga geruhsamer als sonst, Erik und Marianne im Garten, ihr Vater war Rentner geworden.
In der Stadt hatte alles geschlossen, sie lief durch die leeren StraÃen, wechselte die Tasche in immer kürzeren Abständen in die andere Hand. Beim Friedrichstor ging es wieder hinaus, gleich dahinter lag die Pfandleihe, sie gehörte dem Pferdedoktor, er hieà August und hatte ein Auge verloren. Wollte er etwas betrachten, drehte er den Kopf mit dem gesunden Auge dorthin; die Stelle, wo das andere fehlte, hatten sie zugenäht. Die Tür zur Pfandleihe lag von der StraÃe abgewandt, so konnten Leute ihre Wertgegenstände ungesehen zu August bringen. Inga lief die Mauer entlang, trat ein, der Hof war leer, drei Pferde standen in den Verschlägen und hielten den Kopf in die Sonne. Den Falben kannte sie, sein
Besitzer hatte das Pferd im Krieg zum Auffüttern gebracht und war inzwischen gestorben. Jetzt gehörte der Falbe niemand; August dachte nicht daran, ihn zum Abdecker zu bringen. Die braune Stute und der Wallach waren neu. Gras gibt es immer, lautete Augusts Lieblingssatz, alles können sie niederwalzen, Gras wächst jedes â mal nach.
Inga brauchte nicht zu klopfen, August kam aus dem Haus, er aà eine Möhre. Obwohl er sie gleich erkannte, drehte er ihr das Auge neugierig zu. »Was hast du mir mitgebracht?« Er senkte den Kopf zu der Tasche. Machte er mit Marianne Geschäfte, unterhielten sie sich zuerst, saÃen in der Sonne, streichelten die Pferde, bevor es ans Feilschen ging. Ãberrumpelt stellte Inga die Tasche auf den Brunnenrand, das Zepter verhakte sich beim Herausnehmen, schon hielt sie die Madonna im Arm.
»Kommst du von deiner Mutter?« Das Auge forschte. »Antiquitäten bringt sie mir sonst persönlich.«
Inga erklärte, in letzter Zeit seien sie mit den Sachen häufig zum Bauern gefahren.
»Wer braucht jetzt schon Geld ?« nickte er.
»Ich«, antwortete Inga kurzentschlossen.
Er schwieg einen Moment, das Auge wanderte zur Madonna. »Wofür?«
Der Falbe schlug mit dem Huf gegen die Bretterwand, die Stute antwortete wiehernd. Inga fragte, was die Statue wert sei.
»Willst du wissen, was sie wert ist, oder was ich dir geben kann?«
Er nahm die Figur, ging damit zum graugewaschenen Tisch, vorsichtig stellte er sie ab, prüfte den Sockel, Gewinde und Schraube, mit denen der Körper befestigt war.
»Ich könnte sie für dich aufheben, wenn dir das recht ist.«
»Und das Geld?«
»Wieviel brauchst du?«
Inga wich dem Auge aus, überlegte â in jener Nacht auf dem Rollfeld war ihr aufgefallen, daà die Dame im grauen Kostüm
keine Pfundnoten wechselte, sie spielte mit deutschem Geld. Im Bett hatte Inga sich eine Summe ausgedacht, die ihr unglaublich hoch erschien. Sie verschränkte die Arme und nannte den Preis. Bei Tageslicht ausgesprochen, bekam die Zahl etwas Unanständiges.
August stand gegen die Sonne, das Auge blinzelte. »Deine Mutter weiÃ, daà du hier bist?«
»Natürlich.« Sie spürte, das genügte ihm nicht. »Mama läÃt grüÃen. Sie freut sich, wenn du unsere Madonna nimmst.« Inga wandte sich ab, ging zum Falben, das Pferd setzte ins Halbdunkel zurück. »Abgemacht?« fragte sie über die Schulter.
August strich über die Mantelfalte aus Holz. »Ich gebe dir die Hälfte.«
Inga schluckte und lachte heraus, sie stellte sich den Papierberg vor, den man mit all den Banknoten aufschichten konnte. Als
Weitere Kostenlose Bücher