Zwischen den Sternen
Untertreibung. John und Jane liebten sich nicht einfach nur. Die beiden waren völlig ineinander vernarrt, auf genau die Art und Weise, die für eine jugendliche Tochter gleichzeitig rührend und peinlich war. Rührend, weil … nun ja, wer wünscht sich nicht, dass sich seine Eltern bis in die Zehenspitzen lieben? Und peinlich, weil … weil sie Eltern waren. Weil man nicht wollte, dass sie sich wie Idioten benahmen.
Sie zeigten es auf unterschiedliche Weise. Vater war darin viel offener, aber ich glaube, Mutter spürte es intensiver als er. Vater war schon einmal verheiratet gewesen, und seine erste Frau starb, als er noch auf der Erde lebte. Ein Teil seines
Herzens gehörte immer noch ihr. Doch auf Janes Herz hatte sonst niemand einen Anspruch. John hatte es ganz für sich allein, oder zumindest so viel, wie einem Ehepartner davon gehören sollte. Doch ganz gleich, wie man es aufteilte, es gab nichts, was die beiden nicht füreinander tun würden.
»Deswegen sind die beiden da draußen«, sagte ich zu Hickory. »Mitten auf der Straße, meine ich. Weil sie sich lieben.«
»Was hat das damit zu tun?«, fragte Hickory.
»Du hast es selbst gesagt«, antwortete ich. »Daran macht es sich bemerkbar, wie sie miteinander kommunizieren.« Erneut zeigte ich auf die beiden. »Vater möchte aufbrechen und die neue Kolonie anführen. Wenn er es nicht tun wollte, hätte er einfach nein gesagt. So funktioniert er. Er war den ganzen Tag bedrückt und schlecht gelaunt, weil er es will und weiß, dass es Komplikationen geben wird. Weil Jane sehr gerne hier lebt.«
»Mehr als du oder Major Perry«, sagte Hickory.
»Ja, klar. Hier hat sie geheiratet. Hier hat sie zum ersten Mal eine Familie gehabt. Huckleberry ist ihre Heimatwelt geworden. Er würde das Angebot sofort ablehnen, wenn sie nicht fortgehen möchte. Und genau darüber sprechen sie gerade.«
Hickory betrachtete wieder die Silhouetten meiner Eltern. »Sie hätte auch im Haus mit ihm reden können.«
Ich schüttelte den Kopf. »Nein. Sieh mal, wie sie nach oben schaut. Das hat sie schon getan, bevor Vater zu ihr kam. Sie steht da und blickt zu den Sternen hinauf. Vielleicht sucht sie nach dem Stern, um den unsere künftige Heimat kreist. Aber in Wirklichkeit verabschiedet sie sich von Huckleberry. Vater muss sehen, wie sie es tut. Das weiß Mutter. Das ist einer der
Gründe, warum sie da draußen ist. Damit er weiß, dass sie bereit ist, diesen Planeten loszulassen. Sie ist dazu bereit, weil er dazu bereit ist.«
»Du sagtest, es wäre einer der Gründe«, warf Hickory ein. »Welche sind die anderen?«
»Die anderen?«
Hickory nickte.
»Ach so, sie muss sich auch für sich verabschieden. Sie tut es nicht nur für Vater.« Ich beobachtete Jane einen Moment lang. »Viel von dem, was sie ist, ist sie hier geworden. Und wir kommen vielleicht nie mehr hierher zurück. Es fällt immer schwer, seine Heimat zu verlassen. Auch und vor allem für sie. Ich glaube, sie sucht nach einer Möglichkeit, wie sie diese Welt loslassen kann. Ein solcher Abschied ist der erste Schritt dazu.«
»Und du?«, fragte Hickory. »Musst du dich nicht auch verabschieden?«
Darüber dachte ich eine Weile nach. »Ich weiß es nicht«, gestand ich schließlich ein. »Es ist seltsam. Ich habe schon auf vier verschiedenen Planeten gelebt. Das heißt, auf drei Planeten und in einer Raumstation. Hier war ich am längsten, also denke ich, dass hier mehr meine Heimat ist als auf den anderen Welten. Ich weiß, dass mir einige Dinge fehlen werden, die ich hier lieb gewonnen habe. Auf jeden Fall werden mir einige meiner Freunde fehlen. Aber viel stärker ist das Gefühl … der Aufregung . Ich will es tun. Eine neue Welt kolonisieren. Ich will fortgehen! Ich bin aufgeregt und nervös, und ich habe Angst. Verstehst du?«
Dazu sagte Hickory nichts. Draußen hatte sich Mutter ein Stück von Vater entfernt, und er wandte sich ab, um ins Haus
zurückzugehen. Dann blieb er noch einmal stehen und drehte sich wieder zu Mutter um. Sie streckte eine Hand nach ihm aus. Er kehrte zu ihr zurück und nahm sie in seine. Dann gingen sie gemeinsam die Straße hinunter.
»Lebe wohl, Huckleberry«, sagte ich flüsternd. Ich wandte mich vom Fenster ab, damit meine Eltern ihren Spaziergang allein fortsetzen konnten.
6
»Ich verstehe wirklich nicht, wie dir langweilig sein kann«, sagte Savitri zu mir. Sie lehnte sich auf ein Geländer auf dem Observationsdeck, während wir von der Phoenix-Station zur Magellan schauten.
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