Zwischen den Sternen
Gretchen.
»Wenn ich dir das Lied vorspielen könnte, würdest du die Note hören und sie richtig singen.«
»Wenn du mir das Lied vorspielen könntest, würden wir gar nicht hier sitzen und versuchen, es zu singen. Wir würden es uns einfach anhören wie zivilisierte Menschen.«
»Da hast du wohl Recht.«
»Es hat keinen Sinn, Zoë«, seufzte Gretchen. »Ich wusste, dass mich auf einer Kolonialwelt ein hartes Leben erwartet. Darauf war ich vorbereitet. Aber wenn ich gewusst hätte, dass man mir meinen PDA wegnimmt, wäre ich vielleicht auf Erie geblieben. Na los, sag, dass ich verwöhnt bin.«
»Du bist verwöhnt.«
»Und jetzt sag mir, dass das falsch ist. Wage es!«
Ich sagte es nicht. Ich wusste genau, was sie empfand. Ja, wir waren verwöhnt, wenn wir uns kein Leben ohne PDA vorstellen konnten. Aber wenn man sein ganzes Leben lang in der Lage gewesen war, alles auf seinem PDA aufzurufen, womit man sich unterhalten wollte - Musik, Serien, Bücher und Freunde -, und wenn man dann darauf verzichten musste, ging es einem ziemlich elend. Als wäre man auf einer einsamen Insel gestrandet und könnte nichts anderes tun, als Kokosnüsse gegeneinanderschlagen. Denn es gab nichts, wodurch man das alles ersetzen konnte. Gut, die Kolonialen Mennoniten hatten ihre kleine Bibliothek aus gedruckten Büchern mitgebracht, aber sie bestand größtenteils aus Bibeln und landwirtschaftlichen Handbüchern und ein paar »Klassikern«, von denen Huckleberry Finn noch eines der modernsten Werke war. Und für Popmusik und Unterhaltungsprogramme hatten sie nicht allzu viel übrig.
Ich wusste, dass sich einige der jugendlichen Mennoniten einen Spaß daraus machten, uns zu beobachten, wie wir unter dem PDA-Entzug litten. Wobei ich sagen muss, dass mir das nicht besonders christlich zu sein scheint. Andererseits gehörten sie auch nicht zu den Menschen, deren Leben sich nach der Landung auf Roanoke drastisch verändert hatte. Wenn ich sie wäre und einen Haufen anderer Leute dabei beobachten würde, wie sie herumjammerten, weil man ihnen ihr Spielzeug weggenommen hatte, würde ich vielleicht auch mit Selbstgefälligkeit reagieren.
Wir machten das, was alle Menschen in Mangelsituationen taten: Wir passten uns an. Seit unserer Landung auf Roanoke hatte ich kein Buch mehr gelesen, aber ich stand auf der Warteliste für ein gebundenes Exemplar von Der Zauberer
von Oz . Es gab keine aufgezeichneten Programme, aber mit Shakespeare lag man immer richtig. Am Sonntag in einer Woche wollte das Lesetheater Was ihr wollt aufführen. Es konnte nur grausam werden - ich hatte mir ein paar der Proben angehört -, aber Enzo las die Rolle des Sebastian, und er machte es sogar recht gut. Übrigens wäre es das erste Mal, dass ich eine Shakespeare-Aufführung live miterlebte - oder überhaupt eine Aufführung, die kein Krippenspiel an der Schule war. Außerdem gab es sowieso kaum etwas anderes, das man hätte unternehmen können.
Auf dem Musiksektor gab es folgende interessante Entwicklung: Wenige Tage nach der Landung kramten die ersten Kolonisten Gitarren, Akkordeons, Handtrommeln und ähnliche Instrumente hervor und versuchten zusammen zu spielen. Was schrecklich danebenging, weil niemand die Musik der anderen kannte. Es war fast wie das, was an Bord der Magellan geschehen war. Also brachten sie sich gegenseitig ihre Lieder bei, dann kamen Leute, die sie sangen, und schließlich kamen auch Leute, die sich das Ganze anhören wollten. Und so geschah es, dass irgendwo am Arsch des Universums, wo niemand es sehen konnte, auf der Kolonie Roanoke das »Jekami« wiedererfunden wurde. Zumindest nannte es mein Vater so, der mir erklären musste, dass es die Abkürzung von »Jeder kann mitmachen« war. Ich erwiderte, dass es ein blöder Name war, und er stimmte dem zu, fügte aber hinzu, dass die andere Bezeichnung - »Volksmusikfest« - noch schlimmer war. Dem konnte ich nicht widersprechen.
Die Roanoke Jekamis (wie sich die Band kurz darauf nannte) nahmen Musikwünsche entgegen, aber nur, wenn der Wünschende das Lied selber sang. Und wenn die Musiker
das Stück nicht kannten, musste man es ihnen ein paarmal vorsingen, bis sie es einigermaßen passend begleiten konnten. Das führte dazu, dass die Sänger A-cappella-Versionen ihrer Lieblingslieder arrangierten, zuerst allein und dann in Gruppen, die von den Jekamis begleitet wurden oder auch nicht. Die Leute legten immer mehr Wert darauf, mit ihren fertig arrangierten Lieblingsliedern aufzutreten, damit
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