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Zwischen den Zeilen

Zwischen den Zeilen

Titel: Zwischen den Zeilen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benedikt Altmann , Berthold F. Bauer
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tiefen Schluck. »Haben Sie schon einmal unsere Hausordnung hier für die Wohngruppen mit einer Schreibmaschine mit amerikanischer Tastatur abgetippt, Herr Bauer?«
    »Nö, sollte ich das?«
    »Also dort steht eigentlich: Für die Schüler der Oberstufe ist Alkohol an den Abenden und am Wochenende in Maßen gestattet.
    Neu abgetippt steht dann dort: Fuer die Schueler der Oberstufe ist Alkohol an den Abenden und am Wochenende in Massen gestattet. «
    Mit dem Schwung eines Jugendlichen, der auf den Geschmack gekommen ist, leerte Nicki nun glucksend sein Glas. »Schenkst Du mir vielleicht noch mal dasselbe nach?«
    Ohne lang zu überlegen kam ich Nickis Wunsch nach. Es war schon seltsam. Nicki trank nun etwas, was knapp vier Jahre älter als er selbst war. Irgendwie schienen sich die Fenster der Zeit nun tatsächlich doch noch zu öffnen.
    »Komischer Zustand«, stellte Nicki dann fest und legte erhitzt sein T-Shirt auf der Couchlehne ab. »Du arbeitest nun in unserer Gruppe mit lauter Jugendlichen zusammen, die jetzt mehr oder weniger genau so alt sind, wie Dein jüngerer Bruder, als er damals endgültig vom Spielfeld musste. Jetzt versteh ich auch, warum Du uns gegenüber immer so zurückhaltend und zugeknöpft bist.«
    »Gar nichts verstehst du, du dummer Junge«, zischte ich ihn so heftig an, dass ihm fast das Glas aus der Hand fiel. »Du verstehst rein gar nichts du kleiner kiffender Wichsfleck, du. Oder hast du je meinen Schmerz gespürt?«
    »´Tschuldigung. Herr Bauer, ich meinte ja nur.«
    Dann küsste ich ihn auf seine Stirn, fuhr ihn erneut durch seine Haare. Er zuckte nicht mal weg. Viel hätte nicht gefehlt und auch unsere Schule hätte so einen unrühmlichen Vorfall gehabt, bei dem ein junger Praktikant zu unprofessionell war, um seine Grenzen zu erkennen und der die Gefühle über den Schmerz, die die Erinnerung an den tragischen Tod seines eigenen Bruders immer wieder aufs neue in ihm auslösten, auf einen ihm sehr sympathischen, aber dabei doch völlig unbeteiligten Schüler aus seiner Gruppe übertrug.
    Dabei war ich doch noch an meiner Universität extra in einem mehrtägigen Seminar darin geschult worden, in meinem Praktikum hier stets die gebotene professionelle Distanz im Internatsbereich zu wahren und eben gerade erst gar keine Subsysteme im persönlichen Bereich aufzubauen.
    Erst kürzlich musste an einer ganz ähnlichen Schule gar nicht weit von hier ein langjähriger Lehrer entlassen werden, weil er an den freien Wochenenden einzelne Schüler immer wieder zu Videoabenden in seine Privatwohnung eingeladen hatte, bei denen auch regelmäßig große Mengen Alkohol getrunken worden waren. Manchmal, so war zu hören gewesen, seien die Jungs derartig betrunken gewesen, dass sie nicht einmal mehr den Weg zurück in ihre Zimmer allein bewältigen konnten und von mehreren Schülern aus ihrer Gruppe regelrecht hinauf geschleppt werden mussten.
    Und ich war wohl gerade dabei, in etwas ganz ähnliches hinein zu schlittern. Man lebte hier ja tagtäglich so dauerhaft, so eng und so dicht zusammen, dass die Grenze der gebotenen professionelle Distanz von Tag zu Tag, von Woche zu Woche immer schwammiger und wabbeliger wurde. Die Schüler hier sehnten sich, auch wenn sie es so natürlich niemals offen zugeben würden, eben gerade doch nach einem Zuhause mit Eltern, Geschwistern und womöglich einer Freundin, das ihnen diese Schule hier aber in dieser Form trotz aller Bemühungen natürlich nicht bieten konnte und natürlich wohl auch gar nicht bieten wollte. Und auf der anderen Seite waren auch viele Lehrer und Erzieher extra wegen ihrer Stelle hierher gezogen, nicht selten allein stehend und damit in ihrer eigenen Lebensphase ganz ähnlich entwurzelt wie mache ihrer jugendlichen Schüler. Das alles förderte geradezu die Bildung unangemessener persönlicher Subsysteme, trotz allen professionellen Anspruchs, der hier natürlich niemandem abzusprechen war.
    »Schluss jetzt!« pflaumte ich deshalb den nun völlig verdutzten Nicki an. »Du gehst jetzt besser wieder hoch in deine Gruppe! Und das Gras wird selbstverständlich beschlagnahmt. Ich werde diesen Vorfall auch selbstredend an unseren Herrn Buch weiterleiten müssen, das ist dir doch wohl hoffentlich klar? Und, wie siehst du denn heute nur überhaupt wieder aus? Zieh dir gefälligst dein T-Shirt wieder über deine Hühnerbrust und lass dir endlich mal die Haare schneiden.«
    Schnell, bevor ich es ihm noch wegnehmen konnte, leerte Nicki nochmals in einem Zug

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