Zwischen den Zeilen
plötzlich von ihm abfiel und er das Ganze nicht nur als Show mitspielte, sondern dabei endlich einmal völlig unbelastet er selbst sein konnte?
Schließlich fragte ich dann aber doch einige eigentlich schon recht stabile und auch charakterlich gefestigte Jugendliche aus meiner Gruppe, ob denn wirklich alle neuen Elftklässler wirklich immer so ganz freiwillig und von sich heraus mitmachten bei diesen ganzen, oft auch echt heftigen Spielchen , die von den höhergestellten Jugendlichen neuerdings hier Abend für Abend und Nacht für Nacht mit ihnen getrieben wurden. Ich konnte mir schlicht nicht vorstellen, dass echt alle der Neuen, daran wie ihnen hier ihre Plätze in der Hackordnung zugewiesen wurden, ihre Freude hätten.
Als externen Praktikanten sah man mir meine Unwissenheit gönnerhaft und großzügig nach. Keiner vom pädagogischen Stammpersonal hätte natürlich je so eine saublöde Frage gestellt. Schlicht und einfach wohl auch deshalb nicht, weil es hier schon immer so gewesen war. Die Klosterwoche gab es hier nämlich schon lange bevor der neue Betonbau für die Oberstufe hier überhaupt errichtet worden war und man hier oben auf dem Hügel noch in den alten Vorgängergebäuden, einem Konventhospitz aus dem späten neunzehnten Jahrhundert gemeinsam fürs Abitur lernte.
Sebastian aus der Zwölften, ein kräftiger und sportlicher achtzehnjähriger Junge diskutierte schnell mit Dani, ebenfalls intern ranghoch und aus der Zwölften.
Danach meinte er augenzwinkernd zu mir, wenn ich dichthalten würde, dann könnte ich mich ja selbst mal überzeugen.
Neugierig geworden, sicherte ich das natürlich sofort und ganz ohne weiter darüber nachzudenken, was ich da eigentlich gerade von mir gab, zu, meinte aber dann doch, sie im Fall der Fälle nicht decken zu können gegenüber dem hauptamtlichen pädagogischen Personal.
Dani grinste und sagte nur: »Die wissen alles und halten eh still…«
Obwohl ich es doch eigentlich schon längst wusste oder doch zumindest hätte wissen müssen, war ich trotzdem wieder mal baff, wie so oft hier in diesem Internat. Denn ich hatte mein Abitur ja an einer ganz normalen staatlichen Schule gemacht. Aber so lief das hier wohl.
Der Sonntag war hier an unserer Schule der einzig wirklich schulfreie Tag, aber ohne Heimfahrmöglichkeit an den Wochenenden außerhalb der Ferienzeiten. In einer solchen Nacht zum Sonntag in der ersten Woche des gerade neu beginnenden Schuljahres sollte nun also die alljährliche »Lizitation« starten. Was war denn nun das schon wieder? »Das werden Sie ja sehen, Herr Bauer …« - Na gut. Leif kam später an diesem Tag noch ins Dienstzimmer in meine Sprechstunde und erklärte mir nur kurz, die neuen Elfer würden jetzt aufgeteilt und dann jeweils einem Tutor aus der Zwölften zugewiesen. Sie wären ihren Tutor dann für ein Jahr unterstellt, bis sie im nächsten Jahr dann selbst der Tutor eines neuen Jungen aus der Elften werden würden.
Die Dreizehner beteiligten sich an diesem Tutorenprogramm in aller Regel nicht mehr direkt. Vielmehr fungierten sie nun als beratende Mentoren im Hintergrund, aber natürlich hatten sie den identischen Ablauf alle selbst während ihrer bisherigen zwei oder auch drei Jahre hier in der Oberstufe durchlaufen. So standen sie gewissermaßen in einer dritten Rangstufe über den Tutoren und über den Dingen, und hielten sich raus, konnten aber natürlich jederzeit einschreiten, wenn ihr Untergebener vom vergangenen Schuljahr es mit dem ihm nun anvertrauten neuen Elfer zu wild oder zu bunt trieb, oder falls er mit ihm überhaupt nicht zurecht kam.
»Aha«, ich runzelte meine Stirn und blickte Leif an. Ein selbstbewusster, ehrlicher Jungendlicher aus der Zwölften, der die Dinge immer ganz direkt bei ihren Namen zu nennen pflegte. »Und wobei genau hilft denn nun der Tutor seinen Untergebenen ?«
»Als Untergebener ist man zunächst einmal nur Objekt, reiner Befehlsempfänger. Denn das ist die beste Schule, um nächstes Jahr selbst einmal Tutor und schließlich als Dreizehner am Ende der Schulzeit hier vielleicht sogar Mentor zu werden.«
»Hmm.«
»Wer nicht mitmacht. Wer sich dem nicht unterwirft, das alles nicht will, sich geniert oder gar Mami oder der Schulleitung was erzählt, wird geächtet und von allen - ja es machen wirklich ALLE dann mit - geschnitten und umgangen. De facto ist das die totale Isolation. So etwas kommt allerdings sehr selten vor. Ich hab es zwar auch schon mal erlebt, aber diese Schüler gehen
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