Zwischen den Zeilen
mir zu. Höre Daniels freundlich-höfliches Gespräch mit der Kundin und seine Empfehlung. Setze mich auf den Tisch und vergrabe mein Gesicht in den Händen. Sie werden nass. Da sind Tränen. Ich hasse ihn dafür… und mich…
»Willst du nicht vielleicht doch drüber reden?« Wie von weit her dringt Daniels Stimme an mein Ohr. Ich spüre die kleine Erschütterung, als er sich neben mich auf den Tisch hievt, bevor seine Hand sich auf meine Schulter legt. Vermutlich in der Absicht, es besser zu machen, aber natürlich funktioniert es nicht. Ich brauche kein Mitleid. Ich habe es nicht mal verdient und im selben Moment ist es mit meiner Beherrschung endgültig vorbei.
Ein Schluchzen schüttelt meinen Oberkörper und ich fange wieder an zu heulen. Nicht nur ein bisschen, richtig dieses Mal, so wie gestern Nacht. Aber es tut auch richtig weh. Verdammte Scheiße. Ich hab dieses verdammte HSV-Mädchen wirklich geliebt.
»Hey…« Daniel scheint hilflos und zieht mich in seine Arme. Einen Moment lang versuche ich halbherzig, mich zu befreien, aber dann vergrabe ich meinen Kopf an seiner Schulter und lasse zu, dass er mir durchs Haar streicht.
»Scheiße«, schniefe ich, als ich mich ein wenig löse, wische mir die Tränen aus dem Gesicht und versuche ein Lächeln. »Ich…«
Die Tür zum Verkaufsraum öffnet sich, wir fahren herum, aber es ist nur Marlene, die spürt, dass irgendwas nicht stimmt, und nach uns sieht. Kurz bleibt sie stehen, gibt einen fiependen Laut von sich, legt den Kopf schief und kommt dann auf uns zu. Sie winselt ein bisschen, um ihr Mitgefühl zu demonstrieren, stupst mit der Schnauze gegen mein Knie und ich streichle ihr über den Kopf. Warm leckt ihre Zunge über meine Hand und treuherzig sieht sie mich an. Aber nicht einmal sie schafft es, mich zu trösten.
»Schon gut, altes Mädchen, ich bin okay«, sage ich immer noch schniefend und tätschle ihr den Schädel.
»Was ist denn passiert?«, will Daniel mit einem auffordernden Lächeln wissen und wischt mit dem Daumen eine weitere Träne von meiner Wange.
Ich hole tief Luft und schlucke. Der Schmerz in mir drin ist immer noch da. Und ich weiß, dass er auch nicht weggehen wird. Alles, was ich tun kann, ist zu versuchen, damit klarzukommen. Es wird weniger… irgendwann.
»Ich hab Schluss gemacht«, gebe ich zu. Mit dem Handrücken wische ich mir das Gesicht. »Ich… Es ging einfach nicht mehr. Er mit seinem blöden Test, ich meine, ich kann das doch nicht und… ich kann ihm doch nicht sagen, dass ich das Formular nicht ausfüllen kann, weil ich's nicht lesen kann und…«
»Und wieso nicht?« Daniels Stimme klingt sanft.
»Weil… er mich dann nicht mehr liebt und über mich lacht und nicht mehr mit mir zusammen sein will.«
»Woher willst du das wissen?«
»Weil ihm das wichtig ist. Sein Vater ist Arzt, alle seine Freunde studieren und er wird Journalist. Er schreibt den ganzen Tag und liest und...«
»Hast du ihn gefragt? Also, ob ihm das wichtig ist?«
»Nein«, gebe ich zu und deute ein Kopfschütteln an. »Das brauch ich nicht. Ich weiß es.«
»Aber er weiß doch, dass du nicht studiert hast. Trotzdem wollte er mit dir zusammen sein. Woher willst du wissen, dass er nicht damit klarkommt, wenn du es ihm nicht sagst? Legasthenie ist kein Weltuntergang, Ben. Du bist ein toller Mann. Du bist nett, liebevoll, zuverlässig, ein guter Zuhörer und...«
»Ich wollte ja«, gestehe ich kleinlaut. »Ich hab's selbst satt, ihn immer anzulügen… Aber dann hat er von einem Kollegen erzählt, der so schlechte Artikel schreibt und wie bescheuert der ist und…«
»Dann hat der Mut dich verlassen?«
»Ich hatte einfach Angst, dass er lacht und dass er mich… nicht mehr liebt. Weißt du, es war so… Ach, ich weiß auch nicht. War jedenfalls bescheuert zu glauben, er käme damit klar…« War es wohl wirklich. Aber vermutlich hatte ich es so sehr gehofft, dass ich für einen winzigen Moment dran geglaubt hab. Auch, wenn ich tief in meinem Inneren wusste, dass es nicht funktioniert. Niemand kommt klar mit einem Kerl, der nicht richtig lesen und schreiben kann. Ganz sicher nicht jemand wie Josh, für den eine versiebte Zwischenprüfung schon ein echter Misserfolg ist.
Ich hab kein einziges Buch gelesen. Beim Kleinen Prinzen hab ich grade mal drei Seiten geschafft. Und das ist ein Bilderbuch. Normalerweise können das Kinder mit sieben. Ich hab nicht verstanden, was ich gelesen hab. Jedenfalls nicht alles und viele Wörter habe ich gar
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