Zwischen den Zeilen
in einer der hinteren Reihen.« Er verdreht die Augen.
Die Fahrstuhltür öffnet sich eine Etage höher, wo der Hamburger Morgen verlegt wird und ich, hier im Verlag, eigentlich gerne gelandet wäre. Aber das Leben ist kein Wunschkonzert. Und mein Vater meinte, ich solle es als Motivation nehmen, mich hochzuarbeiten.
Mein Vater ist jemand, der unheimlich viel Wert auf Arbeitsmoral und Durchhaltevermögen legt. Er erzählt mir bei beinahe jeder Gelegenheit, wie hart sein Medizinstudium war, und ich glaube, er hält mich insgeheim, nicht nur weil ich schwul bin, für ein Weichei. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte ich ja wenigstens Arzt werden und seine Praxis übernehmen können.
Journalismus ist für ihn eine brotlose Kunst. Und da ich ja offensichtlich kein Talent hab, weil ich sonst an der Nannen aufgenommen worden wäre, ist es in seinen Augen außerdem verschwendete Zeit. Dass zu diesem beschissenen Test nur die achtzig besten Bewerber überhaupt eingeladen werden und ich somit ganz sicher nicht einer von den Allerschlechtesten bin, ignoriert er gekonnt.
Außerdem sind einige mittlerweile ziemlich erfolgreiche Journalisten dort zu Anfang ihrer Karriere auch abgelehnt worden, ist also nicht so, als befände ich mich in schlechter Gesellschaft. Auch wenn er mit seinem Einwand, dass ich mich besser auf den Wirtschaftsteil hätte vorbereiten können, schon recht hat. Und neben dem Wirtschaftsteil vermutlich auch auf Politik. Schon peinlich, wenn man das Foto vom Innenminister nicht erkennt. Aber er war auch echt schlecht getroffen.
Deswegen bin ich jetzt an der Uni und nicht auf der Nannen . Als Strafe für meinen Größenwahn, mich nach meinem Abi und einem Praktikum direkt mal an der renommiertesten Journalistenschule Deutschlands zu bewerben. Irgendwie hab ich nicht kapiert, dass ein Praktikum in einem Verlag im Lebenslauf nicht gleichbedeutend damit ist, dass man schon immer was mit Medien machen wollte, wenn man keinen entsprechenden Abschluss vorweisen kann. Schöne Scheiße. Und ich glaube, man kann sich da nur einmal bewerben.
Aber hey... ich war neunzehn und sie haben mich eingeladen, probieren wir es also mit einem Germanistikstudium und Hocharbeiten ... Hocharbeiten… Ich sollte es als Unwort des Jahres vorschlagen. Von der dritten Etage aus der Weiber-Make-Up-Glitzerfummel in die vierte und die Sportredaktion. Gibt diesem Wort eine ganz neue Bedeutung.
Selbiges gilt übrigens auch für Raufschlafen. Aber Chefredakteur Maimott ist meines Wissens nicht mal inoffiziell schwul. Dürfte also schwierig werden. Vermutlich sollte ich es erst mal mit gutem Journalismus versuchen.
Zwei Jungs aus der Morgen -Redaktion steigen ein und grüßen mit einem Nicken. Der eine ist, glaube ich, aus der Bildredaktion, den anderen kenne ich nicht. Claude, der sich nicht an ihren Blicken zu stören scheint, und ich erwidern den Gruß. Raufschlafen scheidet definitiv aus.
»Holger, warte…«, höre ich und einer der beiden drückt auf den Knopf, der die Tür aufhält. Déjà-vu sozusagen. Und zwar der übleren Sorte, denn um mir den Feierabend so richtig zu vermiesen, schiebt sich Simon Karcher zu uns in den kleinen Lift. Der Kerl aus meinem Semester, der, wie auch immer, den Praktikumsjob beim Morgen ergattert hat. Den, den ich eigentlich gerne gehabt hätte. Und ich hab keine Ahnung, wieso sie ausgerechnet ihn genommen haben. Ich meine, er ist in meinem Seminar und ich kenne zumindest einen Teil seiner Arbeiten. Und die Sachen, die er so schreibt. Er ist völlig talentfrei.
»Hey Mädels, wie läuft's?«, fragt er mit einem breiten Grinsen. Mit Mädels meint er natürlich Claude und mich. Denn neben talentfrei ist er auch ein ausgemachtes Arschloch. Wenigstens sieht er nicht auch noch gut aus. Er ist allerhöchstens eine Fünf. Ich glaube, sogar Arno ist noch besser als er. Denn der hat nicht so schlechte Haut. So gesehen ist Simon also eher eine Vier. Wenn ich's mir recht überlege, ist er nur dann eine Fünf, wenn ich total betrunken und verzweifelt bin.
»Hast du vielleicht 'ne Zigarette für mich?«, frage ich Claude, als ich mich, aufgrund des weniger werdenden Platzes, dichter neben ihn schiebe. Simons Aftershave verpestet die Luft. Und was schmiert sich dieser Typ bloß in seine Haare? Gruselig.
»Ist total schlecht für die Haut«, sagt Claude mit seinem französischen Akzent, den er eigentlich nur deswegen hat, weil er sich seit ein paar Jahren nicht mehr Jörg, sondern eben Claude nennt.
Er sieht
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