Zwischen der Sehnsucht des Sommers und der Kälte des Winters
Wiklander und lächelte ein wenig breiter.
»Ich vermute eigentlich gar nichts«, sagte Johansson. »Es ist eher so ein Gefühl.«
»Ich habe genau verstanden«, sagte Wiklander und nickte.
Er vermutet, dass es Mord war, und das ist wirklich nicht gut, weil Johansson eben Johansson ist, ja, hm, dachte Wiklander, dem sein Chef als geistiges und berufliches Vorbild galt.
Der Stapel auf Johanssons Schreibtisch wies daraufhin, dass Wiklanders Darstellung im Grunde korrekt gewesen war. Johanssons Welt war trotz seiner Abwesenheit einwandfrei nicht zusammengebrochen. Im Fall der verschusselten türkischen Mordopfer, die der Hausmeister im Fahrstuhlschacht gefunden hatte, hatte der Ombudsmann in seinem üblichen Tempo reagiert und den Betroffenen einen Tadel von der Einerseits-andererseits-Sorte erteilt, mit dem sie sicher leben konnten, und damit war die Sache vom Tisch. Aber leider hatte sich ein neues Elend ergeben, und diesmal ging es dabei um Johanssons eigene Landeskriminalpolizei.
Auf einer ungewöhnlich ausgelassenen Betriebsfeier hatte einer seiner Kommissare angeblich versucht, eine Büroangestellte zu vergewaltigen. Die Anzeige war anonym eingelaufen – wie üblich, dachte Johansson mit einem resignierten Seufzer –, aber offenbar stammte sie aus seinem Haus. Der genannte Täter hatte sich auf Anraten seines Chefs krankschreiben lassen, und das mutmaßliche Opfer wollte nicht über die Sache sprechen. Die Sache war jetzt dem Bezirksstaatsanwalt in Göteborg übertragen worden, denn das war die in solchen Zusammenhängen übliche geografische Entfernung, die für Objektivität sorgen sollte, und die Medien hatten immerhin noch keinen Wind davon bekommen. Wenn es so weit wäre, saß hoffentlich bereits der Nachfolger am Schreibtisch des zuständigen Chefs.
Noch zehn Tage, dachte Johansson sehnsüchtig. Danach würde er über Weihnachten und bis zum Dreikönigstag Urlaub haben, und nach seiner Rückkehr würde er wohl nur noch sein Zimmer ausräumen müssen, um zu einem ruhigeren Dasein im Personalbüro der Landespolizei zu verschwinden. Und zu dem einen oder anderen netten Essen mit den alten Kumpels von der Gewerkschaft, dachte Johansson, der sich im Geist schon in netter Gesellschaft in seinem Stammlokal sah und mit Tante Jennys kristallenen Schnapsgläsern anstieß.
Nach dem Essen, bei dem er keinen besonderen Hunger verspürt und sich deshalb mit einer Tasse Kaffee und einem belegten Brot begnügt hatte, hatte ihn der Jetlag eingeholt und mit voller Wucht zugeschlagen. Er hatte im Flugzeug ein wenig geschlafen, und es war auch erst zwei Uhr nachmittags, aber in seinem Kopf war plötzlich Schlafenszeit nach einem langen und arbeitsreichen Tag.
»Jetzt fahre ich nach Hause und lege mich aufs Ohr, ehe ich umfalle«, sagte Johansson zu seiner Sekretärin. »Kannst du mir ein Taxi rufen? Wir sehen uns morgen.«
Zu Hause in der Wollmar Yxkullsgatan war alles wie immer. Die Nachbarin hatte die Blumen gegossen, seine zwei Aquariumsfische gefüttert und seine Post sortiert. Um vieles höher war der Zeitungsstapel, aber der hatte Zeit. Er stellte seine Taschen in der Diele ab, ging ins Schlafzimmer, zog sich aus, kroch unter die Decke und war fast sofort eingeschlafen. Als er aufwachte, war es acht Uhr abends, und er fühlte sich frisch wie ein Fisch. Gewaltigen Kohldampf hatte er auch, aber der Inhalt seines Kühlschranks war geradezu niederschmetternd für einen Mann von seinem Appetit. Bier, Mineralwasser und viel zu viel Schnaps, dachte Johansson düster, was mach ich jetzt?
Erst hatte er sich anziehen und in sein geliebtes Stammlokal gehen wollen, doch dann stellte er sich unter die Dusche und ließ das Wasser auf sich herabströmen, um besser denken zu können, und eine Stunde später hatten alle Probleme sich aufs Beste gelöst. Es war nur eine gründliche Durchsuchungsaktion in Kühlschrank, Gefriertruhe und Speisekammer nötig gewesen, ein wenig kreatives Denken und einige praktische Handgriffe im Geiste der Kochbuchpionierin Kajsa Werg, dachte Johansson zufrieden, als er die Kaffeemaschine füllte und sich zur Belohnung einen großen Cognac einschenkte.
Zuerst ein Stück Schwarzbrot mit Ei und Sardellen, danach ein paar Scheiben Elchfilet, die er unter der Mikrowelle in aller Eile aufgetaut hatte, so dass sie unter ihrer gebratenen Oberfläche noch immer rot und saftig waren, dazu roh gebratene Kartoffeln und selbst gemachte Knoblauchbutter, insgesamt eine klassische schwedische Mahlzeit, die einem
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