Zwischen der Sehnsucht des Sommers und der Kälte des Winters
gewesen war, betonte Krassner ganz besonders. Der Ministerpräsident sei nämlich kein normaler Landesverräter, den der Autor einfach nur »zum Kotzen« fand, sondern diese gastro-intestinalen Beschwerden hatten noch einen weiteren Grund. Anders als die üblichen Landesverräter, die einfach nur ihr Land verrieten – und möglicherweise auch noch grundlegende menschliche Freiheiten und Rechte, vorausgesetzt, diese stammten aus dem Westen und nicht aus dem Osten –, zog der landesverräterische Ministerpräsident noch ganz andere Register. Er hatte nämlich außerdem seine Klasse, seine Herkunft und seine Familie verraten und sich zu allem Überfluss an seiner »natürlichen Persönlichkeit« und dem besonderen »Ethos« vergriffen, das nach Krassners Ansicht einen Menschen wie ihn kennzeichnete, das heißt, nicht den Ministerpräsidenten, sondern den Menschen, der er hätte sein können, wenn er nicht zum Verräter geworden wäre.
Johannsson begnügte sich mit einem tiefen Seufzer angesichts dieser erbärmlichen Charakterzüge, die die höchste politische Leitung des Landes angeblich prägten, und verhärtet, wie er war, blätterte er zwei Seiten weiter, denn jetzt wurde die Sache wirklich interessant. Im selben Monat, in dem der spätere Ministerpräsident seinen Wehrdienst bei der Kavallerie antrat, endete der Krieg. Die Deutschen hatten die Nase voll, fackelten ihren Führer, der ohnehin schon Selbstmord begangen hatte, im Führerbunker in Berlin ab und kapitulierten bedingungslos. Die Sieger setzten zur Aufteilung des europäischen Kontinents an, und ein achtzehn fahre alter schwedischer Kavallerist begann, sein Leben aufzubauen.
Zuerst sechzehn Monate militärische Grundausbildung, entlassen als Obergefreiter, natürlich mit hervorragenden Zeugnissen, dann auf geradem Weg zur Universität, um auch einen akademischen Einsatz zu leisten. Knapp zwei Semester später kehrte er dann zum Militär zurück und machte eine sechs Monate lange Ausbildung zum Reserveoffizier, und irgendwann zu dieser Zeit waren offenbar die heimlichen Anwerber des militärischen Nachrichtendienstes auf ihn aufmerksam geworden. Am 5. Juli 1947 hatte Professor Forselius seinem Waffenträger Buchanan einen Brief geschickt. Dieser Brief war mit einer Maschine mit ungleichem Tastendruck verfasst worden, einzelne Typen waren bereits abgenutzt, und das »a« neigte sich nach links. Es war ein ziemlich kurzer Brief in englischer Sprache, knapp eine DIN-A4-Seite, und schon aus den einleitenden Zeilen, die die sommerliche Dürre in Stockholm und die »anhaltende Rationierung« beschrieben, konnte man ahnen, dass der Empfänger, »Dear John«, sich in den USA aufhielt.
Nach kurzem maskulinen Geplauder und den üblichen Grußfloskeln war der Briefschreiber zur Sache gekommen. »Ich habe ziemlich viel über unser Gespräch über den intellektuellen Teil unserer Offensive draußen in Europa nachgedacht, und das hat mich noch mehr in unserer gemeinsamen Überzeugung gestärkt, dass es sich um eine Frage von äußerstem strategischen Gewicht handelt, und ich bin zu dem Schluss gekommen, dass wir möglichst bald zur Tat schreiten müssen. Ich glaube auch, eine Person gefunden zu haben, die bei der Durchführung der Operationen vor Ort von großem Wert für uns sein kann.«
Forselius hatte zwei Monate zuvor durch einen seiner Kontakte beim schwedischen Nachrichtendienst von dieser Person gehört und sich inzwischen ein genaueres Bild von ihr verschafft. Offenbar war dieses Bild zu seiner vollsten Zufriedenheit ausgefallen, und der Brief endete mit seinen wärmsten Empfehlungen: »Er ist zwar ein kleiner schmaler Wicht, aber er scheint ein verdammt großes Herz zu haben und ein Teufelskerl zu sein, wenn es wirklich darauf ankommt.«
Und als wäre das nicht schon genug, so war er noch dazu »hoch begabt, weit über dem Durchschnitt seiner Offizierskameraden«, mit einer »stabilen konservativen Grundhaltung«, er sprach »mehrere Sprachen fließend«, schien »die perfekte mentale Veranlagung für die erwähnte Art von Arbeit« zu besitzen und hatte außerdem vor, »schon im Herbst in die USA zu reisen, um zwei Semester an einer dortigen Universität zu studieren«, was eine »von Gott geschenkte Möglichkeit gibt, zur Tat zu schreiten«, wie ein überaus zufriedener Forselius feststellte.
Ende August desselben Jahres nahm der spätere Ministerpräsident sein Studium an einer der vornehmeren Universitäten im Mittleren Westen auf, und als »Professor
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