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Zwischen der Sehnsucht des Sommers und der Kälte des Winters

Titel: Zwischen der Sehnsucht des Sommers und der Kälte des Winters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leif GW Persson
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saß relativ hoch in der Mauer, ein gutes Stück über Krassners Taille. Außerdem hatte es eine Verriegelung besessen und deshalb nur für wenige Dezimeter geöffnet werden können. Diese Verriegelung, die irgendwer mit Gewalt abgebrochen hatte und deren Bruchspuren im Holz noch ganz neu aussahen. Die Löcher, aus denen die Schrauben herausgedreht worden waren, rochen sogar noch nach Holz. Angenommen, er habe einen plötzlichen und zwanghaften Drang nach frischer Luft verspürt, habe die Verriegelung abgebrochen und sich weit hinausgelehnt, um sich richtig durchlüften zu lassen. Nicht einmal dann wäre es wahrscheinlich gewesen, dass er über die Kante gekippt wäre. Vergiss es, dachte Jarnebring und strich die dritte Möglichkeit durch.
    Blieben Mord oder Selbstmord. Was sprach für einen Mord? Nichts, überlegte Jarnebring. Kein Hinweis auf irgendeinen Eindringling, kein Hinweis auf einen Streit, kein bekanntes, erkennbares oder auch nur plausibles Motiv, keine Mordwaffe, im Grunde nicht einmal eine Möglichkeit. Welcher Mörder begab sich schließlich zu einer Studentenbude, um dort laut- und spurlos den Bewohner zu ermorden? Acht kleine Zimmer mit dünnen Wänden, die sich am gemeinsamen Korridor zusammendrängten, und dass Krassner sich zur fraglichen Zeit als Einziger zu Hause aufgehalten hatte, war bestimmt kein Sachverhalt, über den ein Mörder irgendeine Kontrolle hatte. Mord kannst du auch vergessen, dachte Jarnebring mit einem leichten Bedauern, das er nicht unterdrücken konnte. Milieugeschädigt, wie er eben war.
    Bleibt also Selbstmord, dachte Jarnebring, und was spricht dafür? Alle uns bekannten Informationen, fand er. Dass wir nicht viel über Krassners Leben wissen, ist ja nicht unsere Schuld. Es war übrigens ein Vakuum, das Hultman ziemlich bald für ihn füllen würde. Daran bestand kein Zweifel. Allein im Zimmer, deprimiert oder auf einen plötzlichen düsteren Impuls hin, schreibt er einen Abschiedsbrief – denn das war doch wohl die einzige Deutungsmöglichkeit für diesen Text –, bricht die Fensterverriegelung ab, holt tief Luft und springt hinaus. Es gab natürlich bessere Selbstmordmöglichkeiten, nicht zuletzt aus Rücksicht auf die, die nachher die Leiche wegschaffen mussten, aber nicht für Krassner, nicht dieses Mal. Es waren keine Tabletten gefunden worden, die er hätte nehmen können, kein Messer und kein anderer scharfer Gegenstand, der für Pulsadern oder Hals geeignet gewesen wäre, es gab kein Seil, um sich daran aufzuhängen, und nicht einmal eine mögliche Befestigung dafür. Und einwandfrei keine Schusswaffe.
    Selbstmord, dachte Jarnebring und nickte, und deshalb musste er jetzt nur noch die drei verbleibenden Fragen klären. Die erste bezog sich auf Krassner selber. Wer war er, und was hatte er in Schweden eigentlich gewollt? Darum kümmern Hultman und die Botschaft sich, und ich fresse meine Dienstwaffe, wenn sie etwas finden, das die Sache für mich durcheinander bringt, dachte Jarnebring.
    Die zweite Frage bezog sich auf Vindelns Aussage über den geheimnisvollen linken Schuh des Opfers, der eine ganze Weile nach Krassner den Boden erreicht und dabei leider Vindelns besten Freund hienieden erschlagen hatte. Einen ziemlich alten Elchhund, dachte Jarnebring. Und falls das strafbar war, so gab es wohl kaum einen Verdächtigen, den man zur Verantwortung ziehen konnte.
    Der Zeitraum zwischen dem Moment, in dem das Opfer auf den Boden aufgeschlagen war, und dem, in dem der linke Schuh ihm gefolgt war, war die Frage, über die bei Vindelns Vernehmung am ausgiebigsten gesprochen worden war. Es ging um weniger als eine Minute, weniger als eine halbe Minute, aber es ging auch nicht um nur wenige Sekunden, und in diesem Punkt war Vindeln sich ganz sicher gewesen.
    »Ja, ich stand zuerst nur da und glotzte, ich war natürlich total geschockt, und es dauerte bestimmt einige Sekunden, und wenn die mir länger vorgekommen sind, dann ist das doch sicher kein Wunder.« Vindeln hatte sich geräuspert, geseufzt und dann einen neuen Anlauf unternommen. »Ja. Und da stand ich dann und starrte diesen aus dem Fenster gefallenen Mann an, und das war kein schöner Anblick, das kann ich den Herren Polizisten versichern. Ich habe in meinem Leben erst einmal etwas Ähnliches gesehen, und das ist lange her. Ein Arbeitskollege von mir war von einer Brücke in den Laderaum eines Flussschiffes gestürzt, das unter uns vor Anker lag. Das war oben in Älvkarlby. Wir nahmen gerade

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