Zwischen der Sehnsucht des Sommers und der Kälte des Winters
dann noch zum Essen ein großes Glas kalte Milch bestellt hatte, hatte sie ihn fast liebevoll angesehen. Diskret natürlich, sie selbst stocherte wie immer in ihrem Gemüse und ihrem gekochten Fisch herum.
»Milch muss sein«, erklärte Johansson. »Aber nur kalte. Ich hab so einen Trottel im Fernsehen gesehen, der behauptete, dass das die Vitamine aus den Preiselbeeren nimmt, aber der Mann spinnt ganz einfach.«
»Ich habe mich entschieden«, sagte sie. »Ich komme mit dir ins Personalbüro.«
»Gut«, sagte Johansson und prostete ihr mit dem Milchglas zu. »Es ist für mich ein Sprung nach oben, und ich werde dafür sorgen, dass es auch für dich kein Nachteil wird.«
Und ein Sprung weg von der Polizeiarbeit, dachte er. Aber das sagte er nicht. Stattdessen stießen sie mit Milch und Mineralwasser an.
»Jetzt gibt’s Kaffee«, sagte Johansson mit norrländischer Betonung. Er beugte sich vor und schaute sie mit gespieltem Ernst an. »Gekochten.«
Am Nachmittag wurde Johansson vom Chef des Personalbüros aufgesucht, dessen Nachfolge er in gut einem Monat antreten sollte. Es war ein informeller Besuch, der Chef des Personalbüros hatte eigentlich nichts Besonderes auf dem Herzen, er wollte sich nur ganz allgemein beklagen und vielleicht dabei eine Tasse Kaffee abstauben.
»Möchtest du ein Plätzchen zum Kaffee?«, fragte Johansson gastfreundlich, aber der andere schüttelte nur ablehnend den Kopf. Müde, verbraucht und freundlich, dachte Johansson, und jetzt wollen sie dich loswerden.
»Ich brauche einen Rat«, sagte sein Besucher. »Du arbeitest doch seit so vielen Jahren in Stockholm. Kennst du einen Kollegen namens Koskinen?«
Die alte Schnapsdrossel, dachte Johansson und nickte.
»Hat der sich endlich zu Tode gesoffen?«, fragte Johansson taktvoll.
»Leider nicht«, stöhnte der Personalchef müde. »Nein, er ist zum Leiter der Einsatzzentrale ernannt worden, und jetzt haben wir sechs Klagen vorliegen, eine stammt von irgendeiner Gruppe, die sich die ›Immer noch funktionierende Bereitschaftspolizei Stockholms‹ nennt. Ihre Klage nimmt zweiundzwanzig Seiten ein und beschreibt den Einsatz von Kommissar Koskinen als Chef vom Dienst in Norrmalm. Und das, was dort steht, ist einfach entsetzlich.«
»Aber sicher wahr«, sagte Johansson.
»Zugleich ist aber die Gewerkschaft in Norrmalm ganz und gar auf seiner Seite, und seine Vorgesetzten sind dermaßen des Lobes voll, wie ich es in meiner ganzen Berufszeit nur selten gesehen habe.«
»Klar«, sagte Johansson. »Sonst wären sie ihn doch nie im Leben losgeworden.« Deshalb nennt man das ja Transportzeugnis, dachte er, aber das sagte er nicht.
»Was kannst du mir raten?« Der Bürochef blickte ihn fast flehend an.
»Nichts«, erwiderte Johansson fröhlich. »Es gibt keinen Rat. Das wäre doch nicht der Sinn der Sache.«
Wie naiv kann man eigentlich sein?, dachte Johansson, als er sich in der Herrenabteilung des Kaufhauses NK ein Hemd aussuchte. Seine bevorstehende Reise erforderte eine gewisse Vervollständigung seiner Garderobe, und außerdem hatte ihn ein alter Bekannter an diesem Abend zum Essen eingeladen, aber das alles war nicht Gegenstand seiner Überlegungen. Das Problem Koskinen würde sich auf Grund der klassischen sozialdarwinistischen Prinzipien lösen, dachte er. Entweder säuft er sich zu Tode, schießt sich eine Kugel in den Kopf, oder es geht ihm so schlecht, dass er einfach nicht weiterarbeiten kann. Dass er gefeuert würde, wäre dagegen viel weniger wahrscheinlich. In der Regel war immer noch ein Kollege in der Nähe, der einem solchen Typen das Fell retten konnte, und wenn nicht, dann waren die Vorwürfe doch nur selten wichtig genug. Was sollte schon sein? Was könnte passieren?, überlegte Johansson und schwankte zwischen einem dunkelblauen und einem etwas helleren Hemd.
»Ich nehme beide«, sagte er dann, und die Verkäuferin nickte dienstbeflissen.
An diesem Abend aß er zusammen mit seinem Bekannten. Er war früher bei der Polizei gewesen und dann als Sicherheitschef zu einer großen Bank übergewechselt. Jetzt stand er vor dem weiteren Aufstieg, zum Stabschef und Mitglied der Konzernleitung, und er brauchte einen Nachfolger.
»Ich habe ein Angebot, Lars«, sagte er freundlich und drehte sein Weinglas zwischen den Fingern. »Eins von der Sorte, die man nicht ablehnen kann.«
Johansson konnte.
»Ich bin Polizist«, sagte er. »Ich bin Polizist geworden, weil ich davon träumte, Schurken hinter Gitter zu bringen. Was ich
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