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Zwischen der Sehnsucht des Sommers und der Kälte des Winters

Titel: Zwischen der Sehnsucht des Sommers und der Kälte des Winters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leif GW Persson
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Ausbesserungsarbeiten vor.«
    Vindeln seufzte noch einmal und nickte.
    »Zehn Sekunden. Sagen wir, es hat zehn Sekunden gedauert, bis Kalle den Schuh an den Kopf bekam.« Vindeln schluchzte auf, und seine Augen füllten sich mit Tränen.
    Als sie Vindeln verlassen hatten und zur Botschaft fuhren, sprachen sie über diesen rätselhaften Schuh. Hultman war eine Erklärung eingefallen, die gar nicht so dumm war.
    »Erinnerst du dich an diesen Idioten, der aus seinem Segelflieger gehüpft und dann in einem Blumenbeet in Hässelby gelandet ist?«, fragte Hultman.
    Jarnebring konnte sich an den Mann erinnern, er grinste sogar dabei, milieugeschädigt, wie er nun einmal war.
    »Der war ganz nackt, als er gelandet ist.«
    »Ich bilde mir ein, dass er noch einen Strumpf trug«, sagte Hultman. »Er hatte knielange Strümpfe und Sockenhalter. Ich glaube, er war irgendeine Art Direktor.«
    Wieder nickte Jarnebring. Das stimmte. Auch ihm hatte sich der Sockenhalter eingeprägt.
    »Der Luftzug hatte ihm unterwegs alles andere vom Leib gerissen.«
    »Aber damals war es auch ein Fall von sechshundert Metern«, sagte Hultman, »ehe alle Klamotten verschwunden waren. Und diesmal ist die Rede von fünfzig. Aber fünfzig sollten wohl reichen, um jemandem einen Schuh abzuzupfen.«
    »Glaub ich auch«, sagte Jarnebring und nickte zustimmend. »Aber wie erklären wir den Zeitunterschied? Ich hab seine Schuhe ja nur auf dem Foto gesehen, aber die wirken ziemlich solide, sind fast schon Stiefel. Die müssten doch genauso schnell fallen wie ein Mensch. Falls der Schuh dann nicht            « Jarnebring dachte laut nach, aber Hultman kam ihm zuvor.
    »… zum Beispiel unterwegs auf eine Fensterbank aufgeschlagen ist«, vollendete er den Satz.
    »Wäre nicht unwahrscheinlich«, meinte Jarnebring.
    »Überaus wahrscheinlich, wenn du mich fragst«, sagte Hultman.
    Blieb die dritte Frage. Es gab vier Zeugen für das eigentliche Geschehnis, vier bekannte Zeugen. Einmal Vindeln, dann die drei, die sich bei der Polizeizentrale gemeldet hatten. Und was den Zeitpunkt betraf, waren sie sich alle einig und hatten bestimmt recht. Etwa um vier vor acht Uhr abends hatte Krassner seinen Fall angetreten und war knapp zwei Sekunden später auf den Boden aufgeschlagen. Wie schade, dass man zum Sturz nicht dieselbe Zeit braucht wie für einen Hundertmeterlauf, dachte Jarnebring. Dann hätten die anderen bestimmt viel mehr gesehen.
    Außerdem gab es einen fünften Zeugen. Einen Austauschstu- denten aus Südafrika, der im selben Flur wohnte wie Krassner. Irgendwann gegen halb sieben war Krassner dem über den Weg gelaufen, als er das Haus verlassen hatte. Aber sie hatten nicht miteinander geredet, sondern nur einen Gruß gewechselt. Krassner, der seinen Mantel getragen hatte, war danach durch die Tür zu den Fahrstühlen verschwunden, während der Student sich auf sein Zimmer zurückgezogen und die Tür abgeschlossen hatte. Eine halbe Stunde später hatte der Zeuge ebenfalls das Haus verlassen. Er war im angrenzenden Gebäude in einem Restaurant mit einer Bekannten verabredet gewesen und wäre ohnehin fast zu spät gekommen.
    »Ich komme leider oft zu spät, selbst bei Leuten, die ich gern treffen will«, hatte er mit bedauerndem Lächeln gesagt.
    Auf der Straße wäre er dann fast mit Krassner zusammengestoßen, der wieder ins Haus wollte. Wenn der Zeuge sich richtig erinnerte, dann hatte Krassner dieselbe Kleidung getragen wie zuvor. Krassner hatte ihn gegrüßt, den Kopf schräg gelegt und etwas auf Englisch gesagt, so ungefähr, ein schlechtes Gedächtnis sei gut für die Beine. »A bad memory keeps your legs in good shape.«
    »Er lächelte mich an und kam mir überhaupt nicht vor wie einer, der unterwegs zum Selbstmord ist«, hatte der Zeuge gesagt, und diese Bemerkung war ja nicht unwichtig.
    Verdammt, dachte Jarnebring. Er geht um halb sieben aus dem Haus. Kommt eine halbe Stunde darauf zurück, und nach einer weiteren knappen Stunde beschließt er, aus dem Fenster zu springen. Warum?, dachte Jarnebring und schaute aus seinem eigenen. Immerhin schneite es jetzt nicht mehr, es war mehrere Grad über Null, windig und glatt. Ein Impuls? Aber guter Laune war er auch noch, wenn man diesem Neger Glauben schenken will, dachte Jarnebring düster. Ob ich vielleicht Lidman anrufen sollte?, überlegte er dann. Lidman war schließlich Professor und hatte eine Art Untersuchung darüber geschrieben, was im Kopf von Selbstmördern so vor sich ging. Jarnebring

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