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Zwischen der Sehnsucht des Sommers und der Kälte des Winters

Titel: Zwischen der Sehnsucht des Sommers und der Kälte des Winters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leif GW Persson
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davon, was im Zusammenhang mit der öffentlichen Debatte in Schweden gesagt oder angedeutet worden war. Krassner fasste die allgemein bekannten und eindeutigen Tatsachen kurz zusammen, aber das war auch alles. Pilgrim hatte beim Aufbau der geheimen Organisation, die vor allem die politischen Gegner der Sozialdemokraten im Auge behalten sollte, eine zentrale Rolle gespielt, und demselben Gewährsmann zufolge hatte er in einem Gespräch mit Buchanan bereits im Herbst 1954 klargestellt, dass er seine sozialdemokratischen Arbeitgeber als die »natürliche staatstragende Partei Schwedens« betrachtete.
    Solche Ansichten hatten Buchanan natürlich beunruhigt. Vor allem, wenn sie von einem »hoch begabten jungen Mann« mit einer »stabilen konservativen Grundhaltung« stammten. In seinem Nachlass befand sich auch eine Kopie einer Gesprächsnotiz, die er nach dieser Unterhaltung mit Pilgrim angefertigt hatte. Nach Handschrift und Kopie zu urteilen, schien sie anscheinend unmittelbar danach geschrieben worden zu sein, aber als Beweisstück war es doch zweitrangig, da es ja im Grunde nur Buchanans Version wiedergab. Und außerdem war die Notiz schwer zu deuten und stellenweise unklar.
    Scheiß drauf, dachte Johansson, denn auch Pilgrim zeigte nun deutlich, dass seine Leidenschaft für nachrichtendienstliche Arbeit im Abklingen begriffen war. Jetzt rückten seine politische Tätigkeit und seine Ambitionen in den Vordergrund, und jetzt ging es mit seiner Karriere erst richtig aufwärts. Seine politischen Aufträge nahmen turmhohe Ausmaße an, und bei seinem eigentlichen Job hatte er mehr und mehr zu sagen, sogar in rein formaler Hinsicht. Zu Beginn der sechziger Jahre war er zum Leiter der Staatskanzlei befördert worden, und nur zwei Jahre später trat er sein erstes Regierungsamt an. In den folgenden Jahren wechselte er von einem Ministersessel in den anderen und rückte immer weiter zum Tischende vor, und als sein Chef Ende der sechziger Jahre in Pension ging, war es so weit: Er wurde zum Ministerpräsidenten ernannt, obwohl er zu den allerjüngsten Regierungsmitgliedern gehörte und als Sozialdemokrat fast als artfremd gelten musste, wenn man seinen Hintergrund, seine Kindheit und seine Ausbildung betrachtete.
    Ja, ja, dachte Johansson und schaute auf die Armbanduhr. Die Uhr in seinem Magen tickte jetzt schon seit einiger Zeit sehr laut, was wohl vor allem daran lag, dass es bis zum Abendessen noch einige Stunden dauern würde, während er sich gewaltig nach Bewegung sehnte. Kein Spaziergange dachte Johansson, denn dann wird der Kohldampf noch schlimmer. Ich fahre in die Stadt, be- schloss er, und bring das Buch über Sozialgeschichte zurück, das ich mir in der Bücherei ausgeliehen habe.
    Und als er schon einmal dort war, konnte er auch ein paar eigene Nachforschungen anstellen, und obwohl es sich nur um die Stadtbücherei von Sundsvall handelte, stolperte er so mehr oder weniger über eine Auskunft, die sich auf den geheimnisvollen Forselius bezog und die Wiklander offenbar entgangen war. An sich kein Wunder, dachte Johansson, wenn man bedachte, was er wusste und was Wiklander nicht wusste.
    Zuerst hatte er ein Buch mit dem Titel »Große schwedische Namen aus der Mathematik« gefunden, in dem Sonja Kowalewska erwähnt wurde, obwohl sie Russin gewesen war, und Professor Forselius, dessen Geheimdienstaktivitäten schweigend übergangen wurden, während seine hier beschriebenen Leistungen Johanssons Horizont überstiegen. Rechnen konnte er zwar, aber höhere Mathematik ließ ihn kalt. An seinen Augen dagegen war nichts auszusetzen, und schon sehr bald fiel ihm auf, dass Forselius offenbar einen Lehrling gehabt hatte, der auch nicht von Pappe gewesen war. Außerdem trug er denselben Namen wie der Sonderbeauftragte des Ministerpräsidenten und war ungefähr im selben Alter. So ist das also, dachte Johansson, und dann fuhr er zu seinem Bruder zurück, um zu Abend zu essen.
    In der Nacht lag Johansson lange wach und dachte über sein Wissen über den Ministerpräsidenten nach, und aus irgendeinem Grund stieg dabei seine Laune fast ein wenig. Das ist wohl kaum der, der in der bürgerlichen Presse beschrieben wird, dachte Johansson und lächelte im Bett vor sich hin. Eher schon eine westliche Heldengestalt aus irgendeiner Nummer von Reader’s Digest, die er als junger Mann jeden Monat überflogen hatte, Humor in Uniform, eine Art Musketier des Kalten Krieges, aber keine Lettres de Cachet, denn hier ging es wohl eher um mit

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