Zwischen der Sehnsucht des Sommers und der Kälte des Winters
meinen Schreibtisch gewandert«, sagte Johansson. »Sag bloß, du willst aufhören.«
»Und da hast du es dir in den Kopf gesetzt, mich zum Bleiben zu überreden«, erwiderte der ältere Kollege.
»Ja, da siehst du’s«, sagte Johansson lächelnd. »Trotz deines hohen Alters scheinst du noch klar bei Verstand und gut in Form zu sein.«
»Das ist nicht das Problem«, sagte sein Essensgast und schüttelte den Kopf. »Weißt du, warum ich zur Polizei gegangen bin?«
»Weil du wusstest, dass du ein guter Polizist sein würdest«, sagte Johansson, der schon ahnte, was kommen würde.
»Weil ich Gauner in den Knast bringen wollte, damit anständige Leute in Frieden leben könnten.«
»Wer will das nicht«, sagte Johansson, und seine Stimmung war plötzlich düsterer als seit langem.
»Verdammt noch mal, ich bin nicht zur Polizei gegangen, um den ganzen Tag lang Formulare auszufüllen, die dann in einen Ordner gestopft werden«, erklärte der ältere Kollege mit einer gewissen Glut.
Ich auch nicht, dachte Johansson. Ich bin zur Polizei gegangen, weil ich Polizist werden wollte, nicht um im Personalbüro des Landespolizeiamtes zu versauern.
»Wie sieht es denn übrigens bei dir aus?«, fragte sein Gast.
»Du hast doch sicher bald mehr Ordner zu füllen als alle anderen auf diesem sinkenden Schiff.«
Und danach hatten sie wieder über alte Erinnerungen geredet.
Der einzige Lichtblick in Johanssons Leben war die lebhafte Debatte, die am Schwarzen Brett des Personalbüros ausgebrochen war, da der Stockholmer Polizeichef nunmehr mit offenem Visier seine Feder schwenkte. Als er von seiner missglückten Essensmission zurückkehrte, sah er sich die neuesten Beiträge an.
Es fand sich so ungefähr alles, von Kommentaren und Vorschlägen, was die problematische Wohnsituation des Polizeichefs betraf, bis hin zu gemischten literarischen Gesichtspunkten: »So zu wohnen ist sicher ungeil«, stellte »ein besorgter Kollege« fest, während der Beitrag von »Schwarzmaklern in der Truppe« deutlich und konstruktiv war: »Ich kann dir ein Zimmer im Hospiz für nur fünfundzwanzig Kröten besorgen, dann brauchst du nicht auf der Fensterbank zu knacken.«
Der polizeiliche Humor ist grob, aber nicht gerade herzlich, dachte Johansson und ging zum literarischen Teil über: »Der Nobelpreisträger des Jahres?«, spekulierte die Signatur »Schreib auch in freien Stunden«, während die »Poetin in blauer Uniform« deutlicher wurde: »Schreib mehr! Befrei mich von meiner Sehnsucht«, lösch meinen Durst!« Und sogar ein ganz unschuldiger Johansson kam in einer Ecke zu Wort, als »alter Ädaler«, und zwar mit einer norrländischen Warnung an bereits etablierte Konkurrenten: »Jetzt macht unser Heimatdichter Pelle Molin sich garantiert in die Hose!«
Na, das mit Molins Hose wird sich schon finden, dachte Johansson und seufzte, als er sich hinter seinen noch größeren Schreibtisch setzte, obwohl der vorherige schon mehr als groß genug gewesen war.
Um ihn selber stand es dagegen gar nicht so gut. Rein formal gesehen war er noch immer Polizist, und wenn ihm in dieser Hinsicht Zweifel kämen, brauchte er nur seinen Dienstausweis aus der Tasche zu ziehen und ihn sich anzusehen. Das kleine gelb und blau gehaltene Staatswappen, das Wort »Polizei« in roten Blockbuchstaben. Das Einzige, was einen Verbrecher verwirren könnte, war vielleicht der überaus suspekte Rang »Bürochef«. Aber andererseits schaute man nie so genau hin, und wann würde er den Ausweis überhaupt vorzeigen können. Denn eigentlich entsprang der doch nur einer freundlichen Geste seiner Arbeitgeber, durch die Johansson und seinesgleichen bei Laune gehalten werden sollten.
Da bin ich nun zum Objekt sozial therapeutischer Maßnahmen geworden, dachte Johansson, und in diesem Moment fasste er seinen Entschluss. Höchste Zeit, die Sache mit Krassner zu Ende zu bringen, dachte er und zog die Telefonliste der Regierungskanzlei aus dem Regal. Ziemlich weit oben auf der ersten Seite musste es sein. »Außerordentlicher Sonderbeauftragter zur Verfügung des Ministerpräsidenten« las er, während er die Nummer wählte.
Es überraschte ihn nicht, dass sich die Sekretärin des Sonderbeauftragten meldete.
»Mein Name ist Lars Johansson«, sagte Johansson. »Ich bin Bürochef bei der Landespolizeileitung. Ich hätte gern Ihren Chef gesprochen.«
»Ich werde mal nachsehen, ob er da ist«, sagte die Sekretärin neutral. »Einen Moment.«
Tu das, dachte Johansson und seufzte in
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