Zwischen der Sehnsucht des Sommers und der Kälte des Winters
sogar auf den dänischen Ostseeinseln. Wohin man sich auch wandte, man sah nur den russischen Bären, der seine gewaltigen Tatzen bereits zur tödlichen Umarmung erhoben hatte.
Wohin sollte man sich wenden? Falls von Flucht die Rede wäre, könnte man nur im geschundenen Norwegen Zuflucht suchen, aber wenn man die Form der skandinavischen Halbinsel betrachtete, könnte diese Flucht ein baldiges Ende nehmen. Es kam auch nicht in Frage, sich dem Westen in die Arme zu werfen. Erstens hatte der Westen daran kein Interesse, man hatte wichtigere Dinge zu erledigen, und die schwedische Zusammenarbeit mit Nazideutschland hatten allzu viele noch in zu schlechter Erinnerung. Zweitens hätten die Russen einen solchen Schritt natürlich niemals zugelassen, und man brauchte nicht einmal den Krieg zu erklären, um den Westmächten klarzumachen, dass diese Hinwendung ein Ding der Unmöglichkeit wäre. Das hatten sie bereits begriffen, und auf dem europäischen Kontinent standen um einiges größere Werte als Schwedens Unversehrtheit auf dem Spiel. Man brauchte sich ja bloß anzusehen, wie es Polen ergangen war, obwohl dieses Land sich doch bereits vor dem Krieg mit Großbritannien und Frankreich verbündet hatte.
Den Plan zu einer nordischen Verteidigungsallianz hatte man ebenfalls bereits früh aufgegeben, und da weder Norwegen noch Dänemark einen Trost bieten könnten, wenn das Unwetter erst einmal losbräche, konnte man mit diesem Verzicht durchaus leben. Finnland wäre da schon besser gewesen, aus historischen Gründen und überhaupt, aber dieses Land hatten die Russen sich ja schon längst gekrallt. In dieser Lage blieb also nur das politische Doppelspiel: den Russen freundlich mit dem Schild »strikte schwedische Neutralität« zuzuwinken – und zwar notfalls auch, bis die Arme vor Ermüdung abfielen – und zugleich heimlich mit dem US-Militär unter einer Decke zu stecken. Alle Hilfe anzunehmen, die man annehmen konnte, ohne entdeckt zu werden. Denn was hatte man schon für eine Wahl?
Nach und nach hatten sich draußen in Europa die Verhältnisse dann normalisiert. Die neuen Grenzen setzten sich im Bewusst- sein der Menschen fest. Zwischen den beiden großen Machtblöcken hatte sich ein Gleichgewicht eingependelt. Die Menschen in Europa fingen an, an den Frieden zu glauben und sich damit abzufinden, dass der ohne die neuen Zustände unmöglich wäre. Stalin und Beria waren tot, und über ihre Nachfolger mochte man glauben, was man wollte, aber es wirkte nicht mehr ganz so plausibel, dass die sowjetischen Herren kleine Kinder zum Frühstück verspeisten.
In der Welt der rational bestimmten Politik gab es keinen Platz für Gefühle, und sowie der Druck von Osten nachgelassen hatte, erschien es an der Zeit, auch die Bindungen an den Westen zu lockern und auf diese Weise die kritischsten Taue zu kappen. Mit der Zeit hatte man dann auch begonnen, sich der Neutralitätspolitik zu nähern, von der man im vergangenen Jahrzehnt so laut geredet hatte. Wenn der Zeitpunkt, zu dem der Ministerpräsident seinen Brief an Buchanan geschrieben hatte, der April 1955, ein durch seine private Situation entstandener Zufall gewesen war – diesen Eindruck konnte der Brief ja durchaus vermitteln –, dann war der Zufall jedenfalls zum passenden Zeitpunkt eingetreten. Die Behauptung, die geführte Politik sei »strikt«, war natürlich der pure Unsinn für das Publikum auf den hinteren Plätzen. Kein vernünftiger Politiker ließ sich von Gefühlen leiten, aber nur reine Toren versuchten, strikt zu sein.
Mitte der fünfziger Jahre war es höchste Zeit, einen neuen Spielplan zu erstellen. Die schwedische Gesellschaft war in raschem Tempo amerikanisiert worden, auf eine für die USA Vertrauen erweckende Weise. Ein Land, in dem die Jugend Coca Cola trank, Elvis hörte und ihre ersten sexuellen Erfahrungen auf dem aus Vinyl gefertigten Rücksitz eines offenen Chevy aus Detroit machte, musste doch einfach ein gutes Land sein. Und auf schwedischer Seite war natürlich nichts zu befürchten. Die USA lagen in sicherer Entfernung, und nicht einmal Schwedens Kommunistenchef Hilding Hagberg glaubte in vollem Ernst an einen möglichen Angriff aus dieser Richtung. Er behauptete das einfach nur, ehe er nach Moskau reiste, um sich neue Unterstützung zu holen – dass der schwedische militärische Nachrichtendienst ihn Jahr um Jahr gewähren ließ, beruhte einfach darauf, dass seine Aktivitäten der schwedischen Sicherheit und der politischen Stabilität
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