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Zwischen der Sehnsucht des Sommers und der Kälte des Winters

Titel: Zwischen der Sehnsucht des Sommers und der Kälte des Winters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leif GW Persson
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auf der skandinavischen Halbinsel dienten.
    Jetzt war man dreißig Jahre weiter, und da der Sonderbeauftragte in seiner Zeit lebte und wirkte, waren seine Probleme nicht von geschichtlicher Art. Das ständige Falschspiel der Nachkriegszeit im Schutze der feuchten Wolldecke der Neutralität war eine gegebene Tatsache. Ihm ging es darum, wie man sich von dieser Geschichte befreien konnte, ohne die Neutralitätspolitik zu gefährden, die mit jedem Tag als eine immer bessere und billigere Alternative erschien.
    Allein um dieses Problem hatte sich auch seine und Forselius’ Seminartätigkeit gedreht. Das andere wusste man ja ohnehin schon, warum also damit noch seine Zeit vergeuden? Stattdessen hatten sie ihre gesamte Kraft dem Versuch gewidmet, die Voraussetzungen zu schaffen, die nötig waren, um die seit Kriegsende geführte Politik offen zu diskutieren.
    Ungeachtet der Tatsache, dass die geheime schwedische militärische und politische Zusammenarbeit mit den USA und den anderen Westmächten dreißig Jahre auf dem Buckel hatte und im Wesentlichen bereits zwanzig Jahre zuvor zu Ende gegangen war, besaß das Thema doch weiterhin eine ziemliche politische Sprengkraft. Den russischen Bären als immer mottenzerfressener darzustellen, war das eine. Die Frage war noch, ob seine Arme nicht kräftiger waren denn je, jetzt, wo gewisse Teddybären in ihrem eigenen Bau opponierten und sehnsüchtig gen Westen schauten, so wie der Wind von dort kam, und ob ihn das alles nicht nur noch reizbarer gemacht hatte.
    Die Liberalisierung in der Sowjetunion, die immer offenere Opposition und die deutlichen Anzeichen einer beträchtlichen Wirtschaftskrise hatten dem Sonderbeauftragten immer häufiger schlaflose Nächte bereitet. Als Denker und Stratege, der vor die Wahl zwischen einer stabilen Diktatur und einer demokratischen Veränderung gestellt war, zog er natürlich die stabile Diktatur vor, da das Problem dann viel leichter zu berechnen und zu lösen war. Was die Menschen, die in dieser Diktatur lebten, dachten und empfanden, ließ ihn kalt. Am liebsten wäre es ihm gewesen, wenn sie gar nichts gedacht hätten. Für diese Menschen wäre es das Beste, wenn sie das Denken ihm und seinesgleichen überließen.
    Natürlich lebten weder er noch Forselius in dem Irrglauben, sie hätten den militärischen Nachrichtendienst der Sowjets an der Nase herumführen können. Der hatte die politischen Führer schon längst über das schwedische Doppelspiel informiert. Die Russen wussten, der Sonderbeauftragte und seinesgleichen wussten, dass die Russen wussten, die Russen wussten natürlich, dass der schwedische Nachrichtendienst wusste, dass auch sie wussten. Alle, die irgendetwas wussten, wussten alles, was sie zu wissen brauchten, und natürlich wusste man auch, dass dieses Wissen im Grunde ein wirkungsloses Mittel war, um politischen Druck auszuüben, so lange dem Wissen von der Gegenseite mit totaler Verleugnung begegnet werden konnte. Und so lange die Bevölkerung eben wusste, auf wen sie sich zu verlassen hatte.
    Die kritischen Faktoren waren das öffentliche Wissen und die öffentlichen Zweifel eben in Schweden. Einfach gesagt, war es die schwedische Bevölkerung, die im Zentrum des Interesses stand. Wenn sie entdeckte, dass die eigenen Führer sie hinters Licht geführt hatten, könnte der Gegner das Wissen, das er die ganze Zeit besessen hatte, hervorholen und in eine scharf geschliffene politische Waffe verwandeln. Von Krassner über die schwedischen Medien zu den Bürgern des Landes … dachte der Sonderbeauftragte.
    Eine Voraussetzung dafür, das Problem auf eine für das Land und seine Bürger risikolose Weise lösen zu können, war wichtiger als alles andere zusammen. Zuerst musste der russische Bär unschädlich gemacht werden. Daran, ihn einfach zu erschießen, war jetzt nicht mehr zu denken, die Möglichkeit bestand seit fast fünfzig Jahren nicht mehr, und wenn die Schweden damals selber zum Gewehr gegriffen hätten, hätte es sie wohl auch nie gegeben, und sie hätten nur auf die Zeit warten können, da er aus anderen Gründen so alt, schwach und zahnlos geworden wäre, dass er keine Gefahr mehr darstellte.
    Erst dann würde man damit beginnen können, Schwedens geheime Geschichte der Nachkriegszeit ans Licht zu bringen. Man könnte es selbst machen, könnte dafür sorgen, dass es auf kontrollierte Weise und langsam geschah. Man könnte durchaus von neuerer historischer Forschung ausgehen, könnte Diskussionen im Feuilleton

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