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Zwischen der Sehnsucht des Sommers und der Kälte des Winters

Titel: Zwischen der Sehnsucht des Sommers und der Kälte des Winters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leif GW Persson
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spinnt doch, dachte Berg. Aber das sagte er nicht.
    Am nächsten Tag hatte er Waltin an dem sicheren Ort getroffen. Waltin hatte die Unterlagen dabei, die sie aus den Akten des Sonderbeauftragten entfernt hatten und die nunmehr außer Haus aufbewahrt wurden, während Berg das bei sich hatte, was ihm noch geblieben war. Danach hatte er sein Arbeitszimmer im Obergeschoss aufgesucht und die Akten studiert, während Waltin sich mit einem einarmigen Banditen amüsierte, der aus unerfindlichen Gründen im Besprechungsraum gleich darunter stand. In regelmäßigen Abständen war ein Scheppern durch die Bodenbretter gedrungen, und in mindestens einem Fall hatte Waltin vor Begeisterung gejohlt. Warum macht er das nur?, fragte sich Berg, der wusste, dass Waltin einen Schlüssel zur Münzkammer des Automaten besaß.
    Es gab drei Vermerke in den Akten, die Berg beunruhigten, und er machte sich Vorwürfe, dass er sie nicht vor der Besprechung am Vortag gelesen hatte. Diese Eintragungen waren fast zwanzig Jahre alt und bezogen sich auf die Zeit, in der der Sonderbeauftragte seinen Wehrdienst abgeleistet hatte. Dem ersten Vermerk zufolge war er einem normalen Schützenregiment im Oberen Norrland zugeteilt worden. Einen Monat darauf wurde er zum Verteidigungsstab nach Stockholm verlegt, und zwar auf einen vom Verteidigungsstab direkt an den Regimentschef gestellten Antrag hin. Angeblich hatte er ein gutes Jahr in einer Abteilung Dienst getan, die »nicht sicherheitsdeklariertes Ausbildungsmaterial« für Wehrpflichtige und untere Dienstränge innerhalb der Armee durchforstete. Und als er nach fünfzehn Monaten Dienst entlassen worden war, war er immer noch wehrpflichtig gewesen.
    Der zweite Vermerk enthielt zwei unterschiedliche Intelligenztests, die er bei der Musterung hatte ablegen müssen. Der erste war der übliche Test, der allen Gemusterten vorgelegt wurde, und sein Ergebnis platzierte ihn in der höchsten Kategorie, die nur etwa zwei Prozent jedes Jahrgangs erreichten. Das war an sich nicht weiter bemerkenswert. Berg hatte zur nächst tiefer gelegenen Kategorie gehört, aber dass der Sonderbeauftragte dann als ganz normaler Rekrut einem ganz normalen Schützenregiment zugeteilt worden war, konnte nicht stimmen. An sich hätte man einen anderen Einsatz für ihn vorschlagen müssen, aber dafür gab es nicht den geringsten Hinweis.
    Eine Woche später jedoch war er zu einem weiteren Test bestellt worden. Berg war kein Experte, was psychologische Tests anging, aber normales Schwedisch konnte er lesen. Auf der letzten Seite hatte der Psychologe, der den Test durchgeführt hatte, eine handschriftliche Notiz angebracht: »Der Respondent hat bei der erweiterten Variante von Stanford Binet das Höchstergebnis erreicht. Das bedeutet, dass er einem Anteil der Gesamtbevölkerung angehört, der etwa einen Hundertstel Promille ebendieser Bevölkerung entspricht.« Einer von Hunderttausend, dachte Berg. Einer von knapp hundert Schweden, der einige Monate später als normaler Schützenrekrut eingezogen wird?
    Der dritte Vermerk bestand aus einem mit Maschine beschriebenen Zettel und dem Umschlag, in dem dieser gesteckt hatte: die Adresse war in Großbuchstaben geschrieben, und der Brief war gerichtet an die »Kriminalabteilung der Stockholmer Polizei, Polizeigebäude, Kungsholmen«. Von dort war er offenbar auf unbekannten Wegen ins Archiv der Sicherheitspolizei weitergewandert. Der Absender war anonym, doch aus dem Inhalt und zwischen den Zeilen ging hervor, dass er in einer Ausbildungsabteilung beim Verteidigungsstab in Stockholm arbeitete und unter anderem für die Urlaubsscheine der Wehrpflichtigen zuständig war.
    Der anonyme Schreiber wollte auf einen offenbaren Missstand hinweisen. Einer der Wehrpflichtigen hatte bereits am ersten Tag auf seiner neuen Dienststelle einen Urlaubsschein abgeliefert, auf dem ihm für die folgenden vierzehn Tage Urlaub bewilligt worden waren. Danach war er aufgetaucht und hatte einen weiteren Urlaubsschein desselben Inhalts vorgelegt. Der Briefschreiber hatte das so seltsam gefunden, dass er den Rekruten gebeten hatte zu warten, während er sich bei dem Offizier erkundigte, der den Urlaubsschein ausgestellt hatte. Er war »von erwähntem Offizier ungeheuer schroff abgefertigt worden, denn dieser teilte mir in unverschämten Tonfall mit, ich solle mich nicht in Dinge einmischen, die mich nichts angehen«. Als er in sein Büro zurückgekehrt war, hatte »der Rekrut den Raum bereits verlassen, und da dieser

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