Zwischen der Sehnsucht des Sommers und der Kälte des Winters
wusste genau.
»Und meistens sitzt er also hinter verschlossener Tür in seinem Zimmer und schreibt?«
»Ja«, sagte Waltin. »Offenbar pickt er dann wie ein Spatz auf seiner kleinen Schreibmaschine herum.«
»Und wovon lebt er?«, fragte Berg, dem das, was er hörte, überhaupt nicht gefiel. »Von Vogelfutter?« »McDonald’s, Hamburger und ab und zu mal eine Pizza.« Klingt nicht gut, dachte Berg. Klingt überhaupt nicht gut.
Am Donnerstagabend meldete Waltins Kontakt sich telefonisch. Er hatte Material über Krassner und wollte wissen, ob er es faxen solle. Und er werde auch noch mehr bekommen, aber erst in der folgenden Woche.
»Scheint ein komischer Kauz zu sein«, sagte Waltins Kontakt. »Darf man die unverschämte Frage stellen, was das für eine Geschäftsidee ist, die er dir verkaufen will?«
»Ja, sicher«, sagte Waltin. »Das ist kein großes Geheimnis. Es geht um Medien. Er hat durchaus interessante Ideen zur Entwicklung bestimmter Medienprodukte.«
»Ach so«, sagte sein Kontakt. »Also, wenn ich du wäre, wäre ich auf der Hut.«
Jonathan Paul Krassner, John genannt, war am 15. Juli 1953 in Albany im Bundesstaat New York geboren worden, als einziges Kind von Paul Jürgen Krassner, geboren 1910, und Mary Melanie Buchanan, geboren 1920. Die Eltern hatten ein Jahr vor seiner Geburt geheiratet und sich ein Jahr danach scheiden lassen.
Der Vater war angeblich Vertreter gewesen. Nach der Scheidung war er nach Fresno in Kalifornien übergesiedelt. Über sein weiteres Schicksal war nichts bekannt, irgendein Kontakt zu seinem Sohn ließ sich nicht belegen. John war bei seiner Mutter aufgewachsen, die in der Nähe von Albany als Pflegerin in einem katholischen Krankenhaus gearbeitet hatte. Sie war 1975 an Krebs gestorben.
Nach Besuch von Grundschule und Gymnasium und mit einem weit überdurchschnittlichen Zeugnis ausgestattet hatte Krassner an der staatlichen Universität in Albany das Studium der Fächer Staatswissenschaft, Soziologie und Journalismus aufgenommen und mit einem Zwischenexamen abgeschlossen. Danach hatte er ein Praktikum bei einer Lokalzeitung gemacht, war zu einem lokalen Fernsehsender übergewechselt, um dann nach einem guten Jahr zu dieser Zeitung zurückzukehren, nun aber als Reporter, dessen Artikel namentlich gekennzeichnet wurden. Und nach zwei Jahren war er dann selbst zum Thema geworden, durch eine breit angelegte Reportage mit dem Titel »Vom Bootsflüchtling zum organisierten Verbrecher«, »From Refugee to Racketeer«. Englisch hat da doch mehr Biss, dachte Waltin.
Reporter John P. Krassner berichtete darin, dass eine finanziell erfolgreiche und gesellschaftlich angesehene vietnamesische Familie in Albany ein Verbrechersyndikat aufgebaut hatte, getarnt durch eine Fassade aus Restaurants, Lebensmittelläden und Waschsalons. Das hatte in der Stadt eine Zeit lang die Wellen hochschlagen lassen. Polizei und Staatsanwaltschaft hatten sich interessiert, aber ziemlich bald den Kopf geschüttelt und ihre Untersuchungen wieder eingestellt. Die vietnamesische Familie dagegen hatte die Sache nicht mit einem Schulterzucken abgetan. Sie hatte die Zeitung und deren Besitzer wegen übler Nachrede und Diskriminierung auf mehrere Millionen Dollar verklagt, sie hatte sich durch ihre lokalen Politiker an den Kongress des Bundesstaates gewandt und eine nationale Organisation für vietnamesische Bootsflüchtlinge um Hilfe gebeten. Die Zeitung hatte zu Kreuze kriechen, öffentlich Abbitte leisten und nach dem Vergleich einen bedeutenden Schadenersatz zahlen müssen. Krassner war Hals über Kopf gefeuert worden.
Was er danach gemacht hatte, war nicht so klar. Zuerst hatte er das von seiner Mutter ererbte Haus verkauft, in dem er seit ihrem Tod gewohnt hatte, und war zu seinem Onkel gezogen, seinem einzigen verbliebenen Verwandten. Er hatte an der Universität Abendkurse belegt und sein Grundstudium bis zum Magister in »investigativem Journalismus« ausgebaut. Außerdem hatte er sich als freier Mitarbeiter für allerlei Medien über Wasser gehalten, hatte Kurse für Journalismus gegeben und kurze Zeit für ein Reklamebüro in Poughkeepsie gearbeitet, das etwa hundert Kilometer nördlich von New York und ungefähr ebenso weit südlich von Albany lag.
Waltin blätterte in den vorliegenden Papieren; sie bestanden aus der offenbar systematischen Zusammenfassung der Detektei, aus Kopien von Trauschein und Scheidungsurkunde der Eltern, Krassners Geburtsurkunde, seinen Schulzeugnissen, aus
Weitere Kostenlose Bücher