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Zwischen der Sehnsucht des Sommers und der Kälte des Winters

Titel: Zwischen der Sehnsucht des Sommers und der Kälte des Winters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leif GW Persson
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»Göransson hier«, Waltin nickte Martinssons zwanzig Jahre älterem und leicht glatzköpfigem Chef zu, »behauptet, du hast für uns eine Öffnung gefunden.«
    Martinsson nickte. Blätterte in seinem schwarzen Notizbuch, die Hemdsärmel aufgekrempelt, damit die Umwelt das Muskelspiel an seinen Unterarmen genießen konnte.
    »Ich glaube schon, Chef. Mein Kollege und ich haben ihn gestern Abend übernommen.«
    »Aha«, sagte Waltin und kniff in seine Bügelfalten.
    »Er ging wie immer in den Presseclub. Ich hinterher. Er hat mit einigen von unseren Leuten gesprochen, außerdem mit diesem Wendell vom Expressen, und er hatte ein paar jüngere Pressefrauen bei sich, eine hatte ziemlich scharfe Titten. Ganz schön viele Frauen um den Mann, Wendell, meine ich.«
    »Ja«, sagte Waltin gedehnt und seufzte leicht. Komm zur Sache, wenn du nicht wieder bei der Streife landen willst, dachte er.
    »Er ist kurz vor eins gegangen und war ausnahmsweise ein wenig angetrunken, er hatte vier Bier intus, nicht wie sonst nur zwei. Er ist ein kleiner Typ«, stellte Martinsson fest, mit einem Tonfall, der andeutete, dass er selbst doppelt so groß und viermal so stark war.
    Was hat das denn mit der Sache zu tun?, dachte Waltin, der selbst nur wenig über mittelgroß war.
    »Also hab ich mich an ihn gehängt. Zu Fuß«, sagte Martinsson.
    Und ich hab schon gedacht mit dem Flugzeug, dachte Waltin müde.
    »Er ist auf direktem Weg zum Heroinmarkt hinuntergegangen, und der Erste, der ihm da über den Weg läuft, ist Svulle Svelander.«
    »Svulle?«, sagte Waltin fragend.
    »Jan Svulle Svelander, bekannter Dealer, schon seit ungefähr tausend Jahren auf der Piste. Bis über die Ohren tätowiert, sieht aus wie ein Teller Rosenkohl. Und sein Vorstrafenregister kann man zweimal um eine Würstchenbude wickeln.«
    »Und was haben sie dann gemacht?«, fragte Waltin, obwohl er die Antwort schon kannte.
    »Er hat sich was zu rauchen gekauft«, sagte Martinsson. »Krassner hat sich von Svulle was zu rauchen gekauft. Und zwar verdammt viel.«

 
VII
     
Zwischen der Sehnsucht des Sommers und der Kälte des Winters
     
     

 
Albany, New York State, Sonntag, 8. Dezember
    Es war nicht wie am Ängermanälv, denn dort waren die Ufer flacher und breiter, und das Wasser floss grau und träge zwischen den grünen bewaldeten Hügeln dahin, die einfach blau wurden und weit hinten im Himmel verschwanden. Dem Himmel, der im Sommer immer blau war, wenn Lars Martin und Mama und Papa und alle Geschwister nach Kramfors fuhren, um groß einzukaufen, Tante Jenny zu besuchen, das Großstadtleben zu genießen, Hering und Frikadellen zu essen und zuzusehen, wie Papa aus Tante Jennys geschliffenen Kristallgläsern Schnaps trank.
    »Amüsiert euch, Kinder«, hatte Papa immer gesagt und ihnen zugezwinkert, dann hatte er seinen ersten Schluck genommen und danach Lars Martin die Haare gezaust, denn der war der Kleinste von denen, denen er noch die Haare zausen konnte. Lars Martins Schwesterchen war zwar noch kleiner, aber sie lag meistens in ihrem Korb und wimmerte, wenn Mama ihr nicht gerade die Brust gab, und deshalb zauste Papa ihr nie die Haare.
    Als Lars Martin einmal den Hofplatz betrat, sah er, wie der Vater den Korb und das Fahrgestell, auf dem der Korb stand, hochgehoben hatte und dann mit dem Schwesterchen samt Korb und Fahrgestell umhergewandert war und etwas gesagt hatte, das Lars Martin nicht hören konnte. Er hatte nur alles an sich gedrückt, den Kopf in den Korb gesteckt und etwas gemurmelt. Worauf Lars Martin traurig geworden war und beschlossen hatte, alles zu verlassen, und dann war er mehrere Stunden lang über den alten Karrenweg nach Näsäker im Süden gegangen, wo es eigentlich keinen Weg zurück gab, und dann war plötzlich sein großer Bruder aufgetaucht und hatte ihn am Arm gepackt und ihn gefragt, was zum Teufel er sich denn eigentlich denke. Und dann hatte er auf dem ganzen Rückweg bei seinem großen Bruder Huckepack sitzen dürfen, und es war gar nicht so weit gewesen, wie er gedacht hatte. Und ziemlich bald hatte er dann auch aufgehört zu weinen.
    Aber das hier war etwas anderes, überlegte Lars Martin Johansson auf seinem bequemen Fensterplatz im Erste-Klasse-Abteil. Denn das hier war kein ängermanländischer Fluss, sondern ein amerikanischer Strom, und ab und zu war er tief, und ab und zu war er seicht, und ab und zu war er breit, und ab und zu war er schmal, und insgesamt war er genau wie die Ströme in den Filmen, die er als Kind im

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