Zwischen dir und mir
als sie ihm nachrief: »Warum hast du das zu Dennis gesagt?«
Kurz hielt er inne, dann schloss er die Tür endgültig hinter sich. Er warf den Rucksack in die Garderobe und bereute sogleich, was er getan hatte. Ein höllischer Schmerz durchfuhr seine Schulter. Scheißegal. Der Schmerz lenkte immerhin von seinen Gedanken ab, die alles andere als in eine vernünftige Richtung führten. Bis gestern war sein Leben jeden Tag das gleiche gewesen. Geliebt hatte er es nie, aber so wie es war, sollte es besser bleiben. Dem Geruch von Spaghetti mit Tüten-Bolognese folgend, schlurfte er schwerfällig in die Küche. So stand er einen Moment da und schaute sich die trostlose Küche an. Lisa würde erschrecken, wenn sie das hier sehen würde. Die braunen 80er-Jahre-Fliesen an der Wand, der hässliche Linoleumboden, die zerkratzte Arbeitsplatte. Schmutzig, düster, alt. Still. Nur das Ticken der Uhr.
Ohne nachzudenken, schob er die Schale mit kalten Spaghetti in die Mikrowelle, schlug die Klappe achtlos zu und wartete ab. Immer noch etwas angespannt, ließ er sich auf den alten Klappstuhl fallen und beobachtete, wie sich dieses lieblose Essen im Kreis drehte.
Gemeinsam aßen sie immer seltener, seit Mama im Callcenter arbeitete. Ihren alten Job als Sekretärin hatte sie vor zwei Jahren verloren. Damals hatte sie noch halbtags gearbeitet. Das konnte sie sich nicht mehr leisten, seit Papa nichts mehr zahlte. Jetzt hatte sie »flexible« Arbeitszeiten. Das hieß aber nur, dass sie jederzeit einsatzbereit sein musste und noch weniger da war.
Ein Schatten am Fenster ließ ihn aufschrecken.
Bitte nicht klingeln. Bitte vor keine neuen Entscheidungen stellen!
Er hielt den Atem an und zählte die Sekunden. Doch er vernahm nur einen metallischen Laut, das Zufallen der Briefkastenklappe. Durch den Spalt zwischen Fenster und Gardine sah er ihre Haare schimmern. Alex schlug sich die Hand vor den Kopf und stützte sich mit den Ellenbogen auf dem Küchentisch ab. Sie hatte es tatsächlich getan, dabei hatte er es nur als einen schlechten Scherz gemeint. Das Pochen in seinem Kopf wollte nicht schwächer werden, als er sich die Stirn rieb und die Haare aus dem Gesicht strich.
Was sie ihm auch sagen wollte, er wollte es nicht wissen. Es würde nur noch mehr Ärger bedeuten.
Sein Leben funktionierte nicht so einfach wie in schlechten Teenagerfilmen, in denen auch die größten Loser am Ende ihre große Liebe fanden. Wahrscheinlich spielte Lisa einfach mit ihm. So musste es sein. Aber der Gedanke machte es nicht einfacher, sie zu vergessen. Er spürte stattdessen mit jedem Moment stärker, dass er sich nur etwas vormachte. Seine Neugier siegte. Ganz langsam führten seine Schritte zurück zur Tür. Schließlich stand Alex vor dem rostigen Kasten, in dem sonst nur Mahnungen, Briefe vom Rechtsanwalt oder Werbebroschüren landeten. Ein weißer Zettel lag dort zwischen zwei Briefen.
Er griff ihn heraus, ließ die andere Post im Kasten und schloss ihn wieder zu. Als könnte sie sich hinter einem der Büsche verstecken, schaute er sich verstohlen um. Nichts. Es war still. Nur der Zettel raschelte, als er ihn auffaltete: Halb drei an den Bahngleisen. Bin alleine.
Einen Moment dachte er über die letzten beiden Wörter nach.
• • •
Oh Gott. Was hatte sie da getan? Nie hatte sie einen blöderen Brief geschrieben. Was würde er denken? Dass es eine Art Liebesbrief war? Was war es sonst?
Zumindest hatte sie einem Jungen noch nie einen Brief geschrieben, wenn sie nicht in ihn verliebt gewesen war. Aber was bedeutete ein Liebesbrief schon? In der Grundschule hatte sie viele geschrieben und konnte heute nicht mehr sagen, an wen. Kindisch war das gewesen. Vielleicht hatte sie diesmal einfach etwas Verrücktes getan – oder etwas Kindisches. Sie hatte für einen Moment nicht nachgedacht. Doch war das nicht gerade Liebe – wenn sie nicht mehr nachdenken musste, sondern einfach machte, was ihr eine innere Stimme sagte. Sie saß im Schatten des alten Güterzugs und hatte den Kopf auf die Hände gestützt.
In Alex verliebte man sich nicht! Eine Lisa Jahnke schon gar nicht. Absurd. Sie versuchte es sich aus der Verwirrung zu erklären, die das plötzliche Schlussmachen mit Dennis ausgelöst haben musste. Lisas Blick folgte einer bunten Plastiktüte, die über die Gleise tanzte und hinter einem abgestellten Güterwagon verschwand. Fuck this Life , hatte jemand mit Graffiti an eine Mauer gesprüht.
Sie musste unwillkürlich an das schäbige Reihenhaus
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