Zwischen Himmel und Liebe
ein
Weitergehen
. Aber ich konnte nur sehen, dass ich dabei war, Elizabeth zu verlieren. Ohne dass ich etwas dagegen tun, ohne dass ich sie dazu bringen konnte, mich festzuhalten, mich weiter wahrzunehmen. Ich musste hilflos zuschauen, wie sie mir entglitt. Was gewann ich dabei? Was daran war gut für mich? Jedes Mal, wenn ich einen Freund verließ, war ich so einsam wie an dem Tag, bevor wir uns begegnet waren, und in Elizabeths Fall sogar noch einsamer, weil ich wusste, dass ich so viele Möglichkeiten verpasste. Und hier ist die Millionenfrage: Was haben unsere Freunde davon, dass wir sie verlieren?
Ein Happyend?
Würde man Elizabeths derzeitige Situation als Happyend bezeichnen? Sie zog einen sechsjährigen Jungen groß, den sie nie gewollt hatte, machte sich Sorgen um ihre verschwundene Schwester, ihre Mutter hatte sie im Stich gelassen, ihr Vater war ein extrem schwieriger Mensch, mit dem man nur mühsam zurechtkommen konnte. War ihr Leben nicht noch genauso wie zu dem Zeitpunkt, als ich gekommen war?
Aber wahrscheinlich war Elizabeths Geschichte auch noch nicht zu Ende.
Denk an die Einzelheiten
, sagt Opal mir immer. Wahrscheinlich fand die Veränderung hauptsächlich in Elizabeths Kopf statt, in ihrer Art zu denken. Ich hatte weiter nichts getan, als den Samen der Hoffnung zu säen, und sie allein konnte ihn zum Wachsen bringen. Und aus der Tatsache, dass sie anfing, mich aus den Augen zu verlieren, konnte man vielleicht ableiten, dass dieser Samen bereits aufgegangen war.
Ich saß in der Ecke des Krankenhauszimmers und beobachtete, wie Opal Geoffreys Hände umklammerte, als hinge sie am Rand einer Klippe. Womöglich war das Bild ja gar nicht so falsch. An ihrem Gesichtsausdruck konnte man sehen, dass sie sich mit aller Kraft wünschte, alles würde wieder so sein, wie es einmal gewesen war. Ich wette, sie hätte auf der Stelle einen Pakt mit dem Teufel geschlossen, wenn das Geoffrey zurückgebracht hätte. Sie wäre in die Hölle gegangen und wieder zurück, sie hätte sich jeder einzelnen ihrer Ängste gestellt, nur für ihn.
Die Dinge, die wir tun, um in die Vergangenheit zurückzukehren.
Die Dinge, die wir beim ersten Mal nicht tun.
Olivia sprach aus, was Opal sagen wollte, aber Geoffrey konnte nicht mehr antworten. Tränen rannen über Opals Gesicht und tropften auf seine leblosen Hände, ihre Unterlippe zitterte heftig. Sie war noch nicht bereit loszulassen. Eigentlich hatte sie Geoffrey nie ganz losgelassen, und jetzt war es zu spät, denn er verließ sie, ohne ihr noch eine Chance zu geben.
Sie war dabei, ihn zu verlieren.
In diesem Moment erschien mir das Leben unendlich trostlos. So deprimierend wie die rissige blaue Wandfarbe dieses Krankenhauses, das erbaut worden war, damit die Menschen in ihm wieder gesund werden konnten. Doch seine Mauern waren nicht stark genug.
Da hob Geoffrey die Hand, ganz langsam, und man sah, dass er alle Kräfte mobilisierte, die ihm noch zur Verfügung standen. Erstaunt starrten wir ihn an, denn er hatte seit Tagen nicht mehr gesprochen, ja, auf nichts mehr reagiert. Und nun spürte Opal auf einmal seine Hand auf ihrem Gesicht, die ihr sanft die Tränen abwischte – Kontakt nach zwanzig Jahren. Er konnte sie sehen. Opal küsste seine große Hand, legte ihr zartes kleines Gesicht hinein und ließ sich von ihm beschwichtigen, ließ ihn ihren Schock, ihre Erleichterung, ihren Kummer lindern.
Dann holte Geoffrey tief Luft, seine Brust hob und senkte sich ein letztes Mal, und seine Hand fiel aufs Bett herab.
Opal hatte ihn verloren, und ich fragte mich, ob sie sich immer noch einreden konnte, dass er einfach weitergegangen war.
In diesem Augenblick entschied ich, dass ich meinen letzten Augenblick mit Elizabeth anders haben wollte. Ich wollte mich richtig von ihr verabschieden, ihr ein letztes Mal die Wahrheit über mich erzählen, damit sie nicht denken müsste, ich wäre abgehauen und hätte sie im Stich gelassen. Auf gar keinen Fall wollte ich, dass sie jahrelang mit Groll an den Mann zurückdachte, den sie einmal geliebt und der ihr das Herz gebrochen hatte. Nein, das wäre zu leicht für sie, denn dann hätte sie ja eine Entschuldigung dafür gehabt, nie wieder jemanden zu lieben. Und sie wollte doch lieben. Deshalb war ich nicht bereit hinzunehmen, dass sie wie Geoffrey ihr Leben damit verbrachte, auf mich zu warten und irgendwann allein und einsam zu sterben.
Olivia nickte mir ermutigend zu, als ich aufstand und Opal auf den Kopf küsste. Sie saß
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