Zwischen Himmel und Liebe
danach gesehnt, Ivan noch einmal zu küssen, hatte Angst vor ihrer Sehnsucht bekommen und versucht, sich das, was sie für ihn empfand, auszureden, aber es ging nicht. Er hatte etwas so Reines und Unschuldiges an sich und schien trotzdem so stark und erfahren. Er war wie eine Droge, von der sie wusste, dass sie sie nicht nehmen sollte, zu der sie aber immer wieder zurückkehrte, um ihre Sucht zu befriedigen. Als die Dinge für sie später am Tag schwierig wurden, hatte die Erinnerung an den Kuss sie getröstet, und jetzt wollte sie eigentlich nur eine Wiederholung des Augenblicks, in dem ihre Sorgen verschwunden waren.
»Was ich heute gemacht habe?« Ivan drehte Däumchen und dachte laut nach. »Na ja, heute hab ich Baile na gCroíthe in großem Stil aufgeweckt, eine wunderschöne Frau geküsst und den Rest des Tages damit verbracht, an nichts anderes mehr denken zu können.«
Elizabeths Gesicht leuchtete auf, und seine strahlend blauen Augen wärmten ihr Herz.
»Und da ich ohnehin nichts tun konnte als denken«, fuhr Ivan fort, »hab ich mich hingesetzt und nachgedacht.«
»Worüber?«
»Abgesehen von der wunderschönen Frau?« Ivan grinste.
»Ja, abgesehen von ihr.« Auch Elizabeth musste lachen.
»Das willst du nicht wissen.«
»Doch, ich kann das verkraften.«
Ivan sah sie unsicher an. »Okay, wenn du darauf bestehst.« Er holte tief Luft. »Ich hab an die Borger gedacht.«
Elizabeth runzelte die Stirn. »Wie bitte?«
»An die Borger«, wiederholte Ivan.
»Die Kerlchen aus der Fernsehserie?«, fragte Elizabeth etwas ungehalten. Eigentlich hatte sie erwartet, er würde ihr ein paar süße Belanglosigkeiten ins Ohr flüstern, wie im Film. Mit so einem sonderbaren, irrelevanten Thema hatte sie absolut nicht gerechnet.
»Ja.« Ivan rollte mit den Augen und bemerkte Elizabeths Ton gar nicht. »Jedenfalls wenn du es nur von der kommerziellen Seite betrachten willst«, meinte er, und seine Stimme klang ärgerlich. »Aber ich hab lang und hart darüber nachgedacht und bin zu dem Ergebnis gekommen, dass sie nicht nur Borger sind. Sondern genau genommen Diebe. Sie
stehlen
, und das wissen eigentlich auch alle, nur redet niemand darüber. Borgen bedeutet, dass man etwas, was einem anderen gehört, nimmt und benutzt und dann wieder zurückgibt. Ich meine, wann haben die Borger je was zurückgegeben? Ich kann mich nicht erinnern, dass Peagreen Clock den Lenders mal was wiedergebracht hat. Du vielleicht? Vor allem das Essen. Wie kann man Essen überhaupt borgen? Wenn man es aufgegessen hat, ist es weg, man kann es nicht zurückgeben. Wenn ich esse, weiß man jedenfalls, wo es hingeht.« Er lehnte sich zurück und verschränkte die Arme. »Und dann macht man einen Film über sie, eine Bande von Dieben, während wir nur Gutes tun, und trotzdem wird unsereins als Fantasiegespinst abgestempelt und nach wie vor« – er verzog das Gesicht und machte mit den Fingern Gänsefüßchen in die Luft – »als
unsichtbar
bezeichnet. Also bitte.« Er verdrehte die Augen.
Mit offenem Mund starrte Elizabeth ihn an.
Ein langes Schweigen trat ein. Ivan blickte in der Küche umher, schüttelte wütend den Kopf und wandte sich dann wieder Elizabeth zu. »Was?«
Schweigen.
»Ach, ist ja auch egal«, meinte er mit einer wegwerfenden Handbewegung. »Ich hab dir gesagt, du willst das nicht hören. Also, genug von meinem Problem, bitte erzähl mir, was passiert ist.«
Elizabeth holte tief Atem, und die Frage nach Saoirse vertrieb den verwirrenden Vortrag über die Borger schnell aus ihrem Bewusstsein. »Saoirse ist verschwunden. Joe meinte, sie wäre mit den Leuten, mit denen sie öfters rumhängt, weggefahren. Er hat’s von der Familie von einem Typen aus der Gruppe, aber jetzt ist sie schon drei Tage weg, und niemand scheint zu wissen, wo sie sind.«
»Oh«, machte Ivan überrascht. »Und da sitze ich hier und plappere. Hast du schon die Polizei verständigt?«
»Das musste ich ja«, antwortete Elizabeth traurig. »Ich kam mir zwar vor wie eine Verräterin, aber die Polizei muss wissen, dass Saoirse weg ist, für den Fall, dass sie zu ihrem Termin in ein paar Wochen nicht auftaucht, und ich denke, so wird es kommen. Dann muss ich einen Anwalt anheuern, der sie vertritt. Was natürlich nicht gut aussieht.« Sie rieb sich müde das Gesicht.
Er nahm ihre Hand. »Sie kommt schon zurück«, sagte er zuversichtlich. »Vielleicht nicht für den Termin, aber sie kommt zurück. Glaub mir. Du hast keinen Grund, dir Sorgen zu machen.«
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