Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zwischen jetzt und immer

Zwischen jetzt und immer

Titel: Zwischen jetzt und immer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Dessen
Vom Netzwerk:
was sehr Merkwürdiges. Von denen wollte ich unbedingt mehr mitbringen, hab’s aber vergessen und war total nervös, dass die Bohnen-Burger nicht reichen würden.«
    »Im Gegenteil.« Ich verscheuchte eine Fliege, die über den Gerichten FÜR VEGETARIER kreiste. »Wir haben mehr als genug.«
    »Siehst du, schon wieder.« Sie seufzte schwer. »Heute klappt einfach alles zu gut. Viel zu gut. Irgendwie muss esdafür noch einen Ausgleich geben. Ich hätte nie gedacht, dass diese Worte je über meine Lippen kommen würden, aber ich brauche Chaos!«
    Kurz bevor wir losfahren wollten, ging ihr Wunsch in Erfüllung.
    Wir verstauten gerade die letzten Sachen im Lieferwagen. Wes und ich schoben die Servierwagen rein. Delia stand oben an der Auffahrt mit der Kundin, die mit allem   – Essen, Getränke, Service   – so rundum zufrieden war, dass sie nicht nur anstandslos den Gesamtpreis zahlte, sondern sogar was extra drauflegte. Noch eine Premiere, denn so was war in der Geschichte von
Wish Catering
noch nie passiert. Alles war also wunderbar, großartig, in einem Wort: perfekt. Bis ich einen Schrei hörte.
    Doch nicht Delia stieß ihn aus, sondern die Kundin. Es war ihre Reaktion auf die Tatsache, dass bei Delia die Fruchtblase geplatzt war. Das Baby kam!

Kapitel 16
    »Alles okay?«
    Ich nickte. »Mir geht’s gut. Alles okay.«
    Mein Mantra. Immer wieder sagte ich es mir in Gedanken vor: Alles okay, alles okay. Allerdings wusste ich nicht so genau, ob das auch wirklich stimmte. Alles, was ich mit Sicherheit wusste, war, dass ich mich im Krankenhaus befand. Darüber hinaus war alles ein wenig verschwommen. Genau wie beim letzten Mal.
    Nachdem wir unseren ersten Schock über die geplatzte Fruchtblase überwunden hatten, taten wir, was wir am besten konnten: rissen uns zusammen, fanden unsere Geistesgegenwart wieder, machten einen   – neuen!   – Plan und traten in Aktion. Erst als wir alle glücklich im Lieferwagen saßen und auf dem Weg ins Krankenhaus waren, warf ich einen Blick auf die Uhr am Armaturenbrett und stellte fest: Viertel vor sechs. Delia saß neben mir und umklammerte meine Hand. In einer Viertelstunde sollte ich mich mit meiner Mutter am Eingang zum Park treffen. In Anbetracht dessen, was an diesem Tag schon alles passiert war, hätte das meine größte Sorge sein müssen. Aber es war mir kaum bewusst. Stattdessen wanderten meine Gedanken immer wieder zu einer anderen Fahrt ins Krankenhaus zurück. Es war noch gar nicht so lange her.
    Auch damals hatte ich eine Hand gehalten. Die meines Vaters. Aber seine Hand, seine Finger waren schlaff und leblos gewesen, so dass meine Hand, meine Finger allein alle Kraft aufbringen mussten, die nötig war, damit unsere Hände einander nicht entglitten. Und anstelle von Bert   – der vernehmlich durch die Nase atmete und Delia damit fast zur Weißglut trieb   – hatte mir gegenüber ein Sanitäter gesessen, der in fliegender Hast eine Sauerstoffmaske befestigt und den Defibrilator geladen hatte. Jetzt rauschte der Wind geräuschvoll durch das offene Fenster neben Wes, der am Steuer saß. Und Delia telefonierte auf ihrem Handy mit Pete und dem Babysitter, wobei sie bemerkenswert gelassen wirkte. Damals hatte eine unheimliche, beklemmende, beängstigende Stille geherrscht, die nur durch das stetige Pochen meines Herzens in meinen Ohren unterbrochen wurde. Damals ging ein Leben zu Ende. Jetzt fing eines an. Eigentlich glaubte ich nicht an so was. Glaubte nicht, dass einem das Leben Zeichen sandte. Aber in diesem Fall war es echt schwer, nicht zu glauben, dass irgendwo da draußen irgendwer oder irgendwas mit voller Absicht dafür gesorgt hatte, dass ich das Gleiche noch mal durchmachte. Allerdings mit einem anderen Ergebnis. Denn genau das sollte ich offenbar lernen: dass so etwas möglich war.
    Die Erinnerungen überschwemmten mich förmlich. Ich konnte nicht ausweichen, dazu spielte sich alles zu ähnlich ab wie damals. Wir fuhren an derselben Stelle vor der Notaufnahme vor. Rannten genauso rasch hinein. Dasselbe zischende Gleiten der Türen, die sich automatisch öffneten und schlossen. Selbst der Geruch war der gleiche, diese undefinierbare Mischung aus Desinfektionsmittel und Blütenduft. Für einen Moment war ich mir sicher, es nicht noch einmal ertragen zu können, und merkte, wie ich unwillkürlichzurückblieb. Doch Wes drehte sich um, sah mich an, stellte dieselbe Frage, die er seitdem alle paar Minuten gestellt hatte. Ich hatte genickt und ihn rasch

Weitere Kostenlose Bücher