Zwischen jetzt und immer
»Gute Nacht.«
»Ja, gute Nacht«, antwortete ich. »Und . . . danke.«
Er fuhr los. Ich holte tief Luft und machte mich auf den Weg, um meine Mutter im Park zu suchen. Es gab so vieles, das ich ihr sagen wollte, und ich nahm mir fest vor, nicht erst lang drüber nachzudenken, sondern die Worte einfach kommen zu lassen. Meine Mutter wollte bestimmt, dass ich glücklich war. Davon hatte Delia mich überzeugt. Nun lag es an mir, meiner Mutter zu zeigen, dass ich glücklich
war
. Und warum.
Noch war es so voll, dass ich Slalom laufen musste, um zwischen den Leuten durchzukommen. Nachdem ich erfolgreich ein paar Kindern und noch mehr Hunden ausgewichen war, entdeckte ich meine Mutter. Sie unterhielt sich mit Mrs Burcock, der Vorsitzenden der Eigentümergemeinschaft von Wildflower Ridge. Während sie aufmerksam zuhörte, schaffte sie es gleichzeitig, Leuten, die an ihr vorbeikamen, grüßend zuzuwinken. Die Veranstaltung war offensichtlich ein Erfolg gewesen, sie wirkte entspannt. Auch noch, als ich mich neben sie stellte. Denn sie warf mir nur einen flüchtigen Blick zu und lächelte, bevor sie sich erneut Mrs Burcock zuwandte.
». . . und werde es bei unserem Treffen nächste Woche ansprechen. Ich bin nämlich der Überzeugung, dass es für uns alle von Vorteil wäre, wenn wir feste Regeln einführen würden, was das Aufsammeln und Entsorgen von Hundekot betrifft, vor allem hier im Park.«
»Selbstverständlich«, antwortete meine Mutter. »Wir sollten das Thema auf die Tagesordnung setzen und abwarten, wie die Leute darauf reagieren.«
»Hallo, Macy«, sagte Mrs Burcock, eine ältere Dame mitadrettem, kurzem Haarschnitt. »Hattest du einen schönen Abend?«
»Ja.« Ich spürte den Blick meiner Mutter auf mir ruhen. »Und Sie?«
»Es war einmalig. Sehr schön. Wir müssen sofort anfangen fürs nächste Jahr zu planen, nicht wahr, Deborah?«
Meine Mutter lachte. »Aber natürlich, ab morgen früh. Erster Tagesordnungspunkt.«
Mrs Burcock nickte uns lächelnd zu und entschwand durch den Park in Richtung ihres Hauses. Einen Augenblick lang standen meine Mutter und ich schweigend nebeneinander, während unsere Nachbarn rechts und links grüßend an uns vorbeiliefen.
»Hast du meine Nachricht bekommen?«, fragte ich schließlich.
Sie wandte den Kopf. Sah mich an. Und plötzlich merkte ich, wie sauer sie war. Sauer ist gar kein Ausdruck. Außer sich. Meine Mutter war außer sich vor Wut. Ich konnte gar nicht fassen, dass es mir nicht sofort aufgefallen war.
»Nicht jetzt«, sagte sie tonlos. Die Worte waren kaum zu hören, nur an ihren Lippen abzulesen.
»Bitte?«
»Ich will jetzt nicht darüber sprechen.« Und dieses Mal war der harte, unerbittliche Ton in ihrer Stimme nicht zu überhören.
»Tolles Picknick, Deborah!«, rief ein Mann in Khakihosen und Golfhemd, der mit einer ganzen Kinderschar im Schlepptau an uns vorbeilief.
»Danke, Ron«, antwortete meine Mutter lächelnd. »Freut mich, dass es Ihnen gefallen hat.«
»Es war nicht meine Schuld, Mama.« Ich atmete tief durch. Irgendwie hatte ich mir das alles etwas anders vorgestellt. »Delia bekam plötzlich Wehen, da konnte ich doch nicht –«
»Macy!« Noch nie in meinem ganzen Leben war ich beim Klang meines eigenen Namens zusammengezuckt. Doch jetzt zuckte ich zusammen. Heftiger als beim heftigsten Buh! »Ich will, dass du auf der Stelle heimgehst, dich wäschst, umziehst und im Bett verschwindest. Wir sprechen uns später. Nur eins: Das
muss
sich ändern. Und es
wird
sich ändern . . .«
»Mama, bitte, lass es mich dir doch erklären. Du verstehst das nicht, der heutige Abend war –«
»Geh schon.
Sofort!
«
Und dann machte meine Mutter auf dem Absatz kehrt und ging davon. Ließ mich einfach stehen. Lief mit hoch erhobenem Kopf auf ihre Mitarbeiter zu, die sich in einiger Entfernung versammelt hatten und auf sie warteten. Ich blieb stehen und sah zu. Nahm wahr, wie sie mit ihnen sprach, ihnen zuhörte, nickte, ihnen ihre ganze Aufmerksamkeit schenkte – alles, was sie mir vorenthalten hatte. Nicht eine Sekunde lang hatte sie mich so angesehen, mir so zugehört wie den anderen jetzt.
Ich lief wie in Trance nach Hause. Vermutlich stand ich unter Schock. Als ich an dem Spiegel in meinem Zimmer vorbeikam, merkte ich zum ersten Mal an diesem Abend, wie ich aussah, nämlich wild: Auf meiner Jeans war ein Riesenketchupfleck, mein T-Shirt hing mir wild aus der Hose, mein Haare waren durcheinander, mein Gesicht vom Weinen völlig
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