Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zwischen jetzt und immer

Zwischen jetzt und immer

Titel: Zwischen jetzt und immer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Dessen
Vom Netzwerk:
mich gesetzt hatte. Oje, dachte ich, faltete meine Hände auf dem Tisch zusammen, hoffte, dass ich möglichst unterwürfig aussah, und wartete.
    »Ich bin sehr enttäuscht von dir.« Ihre Stimme klang ganz ruhig. »
Sehr
enttäuscht.«
    Und ich spürte ihre Enttäuschung. In meinem Bauch   – es brannte. In meinen Handflächen   – die schwitzten. Genau um dieser Enttäuschung zu entgehen, hatte ich mich so lang so sehr angestrengt. Jetzt schlug sie über mir zusammen wie eine Riesenwelle. Ich konnte nichts anderes mehr tun als nach oben zu schwimmen und zu hoffen, dass ich wieder Luft bekäme.
    »Macy«, sagte sie als Nächstes. Ich merkte, dass ich blinzelte. »Was gestern geschehen ist, kann ich so nicht hinnehmen«, fuhr sie fort.
    »Es tut mir wirklich Leid«, platzte es aus mir heraus. Viel zu früh, natürlich. Aber ich konnte nicht anders. Meine Stimme klang dünn und zittrig, überhaupt nicht nach mir. Ätzend. Gestern Abend hatte ich so viel Mut gehabt; ich war bereit und in der Lage gewesen, alles zu sagen, alles zu tun. Jetzt konnte ich überhaupt nichts mehr tun. Bloß dasitzen.
    »Es muss sich einiges ändern.« Meine Mutter sprach zunehmend lauter. »Da ich mich nicht mehr auf dich verlassen kann, werde ich die Sache von nun an selbst in die Hand nehmen müssen.«
    Flüchtig schoss mir durch den Kopf, ob meine Schwester wohl gerade mit angezogenen Knien auf der Treppe saß und lauschte, wie ich damals, wenn das Donnerwetter über sie hereinbrach.
    »Du wirst nie wieder für diese Catering-Firma arbeiten. Damit ist endgültig Schluss.«
    Ich spürte, wie ein Aber in meiner Kehle hochstieg. Und drückte es wieder nach unten. Sitz es aus, hatte Caroline mir geraten. Der Anfang ist immer am schlimmsten. Überdies würde Delia sowieso eine Zeit lang außer Gefecht gesetzt sein. »Okay«, antwortete ich deshalb folgsam.
    »Stattdessen arbeitest du von jetzt an für mich.« Sie legte die Hand auf die Armlehne ihres Stuhls. »Im Modellhaus. Ich brauche jemanden, der Broschüren verteilt und potenzielle Kunden begrüßt. Montags bis samstags von neun bis fünf.«
    Samstags?, dachte ich. Natürlich. Samstags kamen die meisten Leute spontan vorbei, um sich im Modellhaus umzuschauen.Eine Supermethode, mich im Auge und im Griff zu behalten. Ich holte tief Luft, behielt sie einen Moment im Mund, atmete dann wieder aus.
    »Ich möchte nicht, dass du dich weiter mit den Leuten triffst, die du beim Catering kennen gelernt hast«, fuhr sie fort. »Alles hat mit diesem Job angefangen, sämtliche Probleme, die ich mit dir und deinem Benehmen habe: dass du die halbe Nacht wegbleibst, deine Verpflichtungen nicht mehr ernst nimmst . . .«
    Ich schaute sie unverwandt an und versuchte mich an alles zu erinnern, was ich am Vorabend für sie empfunden hatte. Dieses überwältigende Gefühl, sie zu vermissen. Aber dann nahm ich wieder wahr, wie sie wirklich aussah in diesem Moment. Sah ihre stählerne, undurchdringliche, perfekte Fassade und wunderte mich, wie ich mich so hatte irren können.
    »Von heute an wirst du, bis die Schule wieder anfängt, jeden Abend um acht zu Hause sein. Nur so kann ich sicher sein, dass du genug Ruhe und Schlaf bekommst, um dich aufs Lernen und das kommende Schuljahr zu konzentrieren.«
    »Um acht?«
    Sie sah mich ruhig, aber durchdringend an. Und ich merkte, wie Recht meine Schwester hatte: Unterbrechungen konnten einem den Todesstoß versetzen.
    »Wenn du möchtest, gern auch um sieben«, sagte sie.
    Ich schwieg, blickte auf meine Hände und schüttelte den Kopf. Um uns herum war es so still, als wartete das Haus selbst darauf, dass es endlich vorüber war.
    »Deine Sommerferien sind erst zur Hälfte vorbei«, sagte meine Mutter. Eingehend betrachtete ich meinen Daumen, den Nagel, die feinen Linien auf der Haut. »Es liegt an dir, wie sie von jetzt an verlaufen. Verstehst du, was ich meine?«
    Ich nickte. Sie schwieg. Als ich nach einer Minute oder so aufblickte, merkte ich, dass sie mich beobachtete und auf eine richtige, ordnungsgemäße, vollständige Antwort wartete. »Ja, ich verstehe, was du meinst.«
    »Gut.« Sie schob ihren Stuhl zurück, stand auf, strich sich mit der Hand glättend über den Rock. Ging hinter meinem Stuhl vorbei und sagte: »Wir sehen uns in einer Stunde im Modellhaus.«
    Ich blieb sitzen und hörte zu, wie ihre Absätze über die Fliesen des Küchenbodens davonklackten. Dann verstummten ihre Schritte, weil sie den Teppichboden im Flur betreten hatte, der zu ihrem

Weitere Kostenlose Bücher