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Zwischen jetzt und immer

Zwischen jetzt und immer

Titel: Zwischen jetzt und immer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Dessen
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zu bringen. Ich hockte dann in meinem Zimmer und starrte aus dem Fenster, während Wes gerade mal wieder quer durch die Stadt düste. Auf dem Beifahrersitz neben ihm: Warmhalteverpackungen mit Meeresfrüchtepasta oder Saltimbocca. Ich freute mich zwar jedes Mal, seine Stimme zu hören. Aber es war nicht mehr so wie vorher.
    Zum Beispiel führten wir am Telefon unser Wahrheitsspiel nicht fort. Wir hatten uns darauf geeinigt, eine Pause einzulegen, bis wir einander wiedersahen. Manchmal, wenn ich abends allein auf dem Dach vor meinem Zimmer hockte, ging ich im Kopf die Fragen und Antworten von früher durch. Aus irgendeinem undurchschaubaren Grund hatte ich Angst, ich könnte sie sonst vergessen; als wären sie Vokabeln oder so was Ähnliches, die ich mir immer wieder aufs Neue einprägen musste, um sie im Gedächtnis zu behalten.
    Auch Kristy meldete sich ab und zu bei mir. Meistens rief sie an, um mich auf eine Party einzuladen, oder schlug vor, ich solle vorbeikommen, um mich eine Runde mit ihr in den Garten zu legen und zu sonnen. Sie wusste zwar, dass ich Hausarrest hatte; aber genau wie das Wort »Freizeit« für meine Mutter eine sehr eigene Bedeutung hatte, war»Hausarrest« für Kristy anscheinend ein ziemlich dehnbarer Begriff. Oder sie wollte mir einfach bloß das Neueste über ihren neuen Freund erzählen. Er hieß Baxter und sie hatten sich auf der Stelle ineinander verguckt, als sie Stella eines Tages am Obst- und Gemüsestand vertrat. Nachdem er angehalten und die beiden eine Stunde miteinander gequatscht hatten, war er gleich so verknallt gewesen, dass er einen halben Zentner Gurken gekauft hatte. Was natürlich ein Hammer war   – vor allem für einen Typen! Und wegen Baxter hatte Kristy   – genau wie Wes   – momentan auch nicht gerade wenig um die Ohren. So war das eben, wenn man drinnen festsaß: Draußen drehte die Welt sich weiter, während für einen selbst die Zeit stillzustehen schien.
    Mir war langweilig. Ich war traurig. Ich war einsam. Es war nur eine Frage der Zeit, bis ich durchdrehen würde.
    Es geschah am Ende eines langen, anstrengenden Tags im Modellhaus. Ich hatte stundenlang Umschläge mit Broschüren, Pläne, Visitenkarten et cetera zusammengestellt und dabei im Hintergrund das ständige Süßholzraspeln meiner Mutter über mich ergehen lassen müssen, die sechs potenziellen Hauskäufern sechsmal dasselbe erzählt und die Villen in höchsten Tönen angepriesen hatte. Im Prinzip war der Tag auch nicht länger und härter gewesen als die vorangegangenen. Die Tage im Modellhaus liefen alle nach demselben Schema ab. Was an sich schon übel genug war, selbst wenn man nicht mit einrechnete, dass ich auch an diesem Tag zur selben Zeit wie immer (Punkt sechs Uhr) dasselbe zu Abend aß wie jeden Tag (Hühnchen mit Salat), mir am Esstisch dieselbe Person gegenübersaß wie jeden Tag (meine Mutter) und ich anschließend die Zeit bis zum Schlafengehen mit denselben Aktivitäten verbrachte wie jeden Tag (Yoga und Lernen). All das zusammengenommen war einetödliche Kombination von langweilig, öde, eintönig und monoton. Kein Wunder also, dass meine Frustration einen einsamen Höhepunkt erreicht hatte. Ich fühlte mich eingesperrt und hatte die Hoffnung aufgegeben, die Dinge könnten sich jemals wieder ändern. Und das,
bevor
ich meinen PC einschaltete und folgende E-Mail von Jason vorfand:
     
    Macy,
    ich wollte mich schon länger bei dir melden, wusste aber nicht genau, was ich schreiben beziehungsweise wie ich es am besten formulieren sollte. Ich weiß nicht, ob deine Mutter dir erzählt hat, dass ich um den vierten Juli ein paar Tage da war, weil meine Großmutter einen Schlaganfall hatte, und es ihr seitdem kontinuierlich schlechter geht. Wie du weißt, stehen wir einander sehr nahe, und dass sie die nächsten Wochen wahrscheinlich nicht überleben wird, trifft mich hart, härter, als ich geglaubt hätte.
    Ich war sehr enttäuscht, als ich hörte, dass du den Job in der Bibliothek aufgegeben hast. Auch wenn ich ein paar Vermutungen habe, wieso du das getan hast, würde ich doch gern von dir persönlich erfahren, warum du diese   – in meinen Augen ziemlich übereilte   – Entscheidung getroffen hast.
    Aber all das ist nicht der Hauptgrund, warum ich schreibe. Ich habe das Gefühl, ein bisschen besser zu verstehen, wie es dir in der Zeit, seit wir uns kennen, ergangen ist, weil in meiner eigenen Familie gerade etwas Ä hnliches passiert. Außerdem habe ich deine Einstellung zu der

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