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Zwischen jetzt und immer

Zwischen jetzt und immer

Titel: Zwischen jetzt und immer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Dessen
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ist toll geworden. Absolut einmalig! Ihr müsst mitkommen und euch alles anschauen. Sofort!«
    »Jetzt?« Meine Mutter warf einen Blick auf die Uhr und anschließend auf das blinkende Licht an meinem Telefon. »Aber es ist   –«
    »Freitag! Feierabend. Wochenende.« Caroline schien auf jeden Einwand vorbereitet. Offensichtlich hatte sie sich vorher alles genau überlegt. »Ich habe schon getankt und ein paar Sandwiches gekauft, wir müssen also nicht mal zumEssen anhalten. Wenn wir innerhalb der nächsten halben Stunde losfahren, kriegen wir vielleicht noch den Rest des Sonnenuntergangs am Meer mit.«
    Meine Mutter legte eine Hand auf meinen Schreibtisch. Ich sah, wie sich ihre Finger um die Tischkante krampften. »Caroline, es ist bestimmt alles ganz großartig.« Sie sprach betont langsam. »Aber ich komme dieses Wochenende nicht hier weg. Ich habe einfach zu viel zu tun.«
    Caroline brauchte einen Moment, um das zu verdauen, doch dann sagte sie geistesgegenwärtig: »Es muss gar nicht das ganze Wochenende sein. Wir können dich schon morgen früh wieder zurückbringen.«
    »Morgen früh habe ich eine Besprechung mit dem Bauleiter und seinem Team. Der Zeitplan ist wirklich auf Kante genäht. Ich kann jetzt nicht weg hier.«
    Caroline stemmte die Hände in die Hüften. »Das sagst du schon seit Wochen.«
    »Weil sich seit Wochen nichts an der Situation geändert hat. Zurzeit geht alles drunter und drüber, ich
muss
einfach vor Ort bleiben.« Meine Mutter warf einen Blick auf das Telefon; das rote Licht blinkte hartnäckig vor sich hin. »Wer ist da in der Leitung?«
    »Rathka«, sagte ich leise.
    »Mit dem sollte ich reden. Ist womöglich wichtig.«
    Sie eilte auf die Tür ihres Büros zu, wandte sich jedoch kurz vorher noch einmal zu meiner Schwester um, die wie angewurzelt dastand und entgeistert vor sich hin starrte. Ich fühlte plötzlich heißes Mitleid mit ihr: Sie hatte sich so darauf gefreut, uns das Haus zu zeigen, hatte alles geplant, was zu essen gekauft, die Kühlbox mit Getränken gefüllt . . . Meine Mutter blieb im Türrahmen stehen und sagte zu Caroline: »Ich weiß, wie viel Arbeit und Engagement du indieses Projekt gesteckt hast, mein Schatz. Und ich weiß es wirklich zu würdigen, glaub mir.«
    Ob das stimmte? Ich war mir nicht so sicher. Übrigens nicht nur in Bezug auf meine Mutter, sondern auch auf mich selbst. In den letzten Wochen war meine Schwester ständig zwischen Atlanta und unserem Ferienhaus hin- und hergedüst. Und jedes Mal hatte sie unterwegs bei uns Station gemacht, um uns kurz auf den neuesten Stand zu bringen. Wegen unserer jeweiligen Probleme war es meiner Mutter und mir jedoch nicht leicht gefallen, uns auf das zu konzentrieren, was meine Schwester von den Fortschritten der Renovierung erzählte. Wir hatten uns zwar bemüht zuzuhören, Caroline hingegen hatte dieses Bemühen vermutlich nie ganz gereicht. Sie hätte uns mit ihrer Begeisterung sicher gerne mehr angesteckt.
    Nun stand sie mitten im Raum und biss sich auf die Lippen. Ich hatte eigentlich immer geglaubt, mit meiner Schwester nicht viel gemeinsam zu haben, doch auf einmal verspürte ich eine große Solidarität mit ihr. Caroline war es im Laufe der letzten Wochen gelungen, eine sehr große Veränderung, ja, einen echten Wandel zu bewirken; und sie wünschte sich nichts sehnlicher als das mit uns zu teilen, vor allem mit meiner Mutter.
    »Mama, ich bin mir sicher, dass es dir gefallen wird, sogar sehr«, sagte Caroline. »Nimm dir zwölf Stunden Zeit und komm mit. Bitte.«
    Meine Mutter seufzte. »Und ich bin mir sicher, dass du Recht hast. Es ist bestimmt großartig geworden. Ich werde es mir auf jeden Fall anschauen. Nur nicht heute.«
    »Na gut«, sagte Caroline, doch am Ton ihrer Stimme erkannte man deutlich, dass nichts gut war. Sie ging zu einem der Stühle am Fenster, setzte sich und schlug ein Bein übersandere. Als würde das rote Licht an der Telefonanlage sie magnetisch anziehen, versuchte meine Mutter sich möglichst unauffällig in ihr Büro zu verdrücken. Da sagte meine Schwester: »Ich hatte gedacht, wir könnten spontan hinfahren, aber wenn das zu kurzfristig ist . . . auch nicht weiter schlimm. Schließlich fahren wir nächsten Sonntag sowieso hin.«
    »Nächsten Sonntag?«, wiederholte meine Mutter leicht verwirrt. »Was ist nächsten Sonntag?«
    Caroline starrte sie bloß stumm an. Mich überkam plötzlich eine unheilvolle Ahnung. Sehr unheilvoll. »Wir fahren zusammen eine Woche ans Meer«,

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