Zwischen jetzt und immer
konnte doch niemanden zurückstoßen, der gerade am Tiefpunkt war.
Seitdem hatten wir wieder Kontakt zueinander. Wenn man es denn so nennen wollte. Die E-Mails , die wir einander schrieben, waren kurz und eher sachlich: Er erzählte mir, dass es im Schlaumeiercamp sehr anregend sei, aber auch viel Arbeit, und ich berichtete ihm von meiner Mutter und ihrem ganzen Stress. Ich zerbrach mir nicht mehr so sehr den Kopf, wie er wohl auf meine E-Mails reagieren und was er möglicherweise hineininterpretieren würde. Und wenn ich eine E-Mail von ihm bekam, beeilte ich mich auch nicht sonderlich mit der Antwort; manchmal ließ ich ein, zwei Tage vergehen, bevor ich zurückschrieb. Sollten die Worte kommen, wann und wie sie wollten. Wenn mir schließlich etwas einfiel, das ich schreiben könnte, tippte ich einfach drauf los und schickte die Mail ab, ohne lang darüber nachzugrübeln. Er hingegen antwortete mir fast immer umgehend, fing allmählich sogar an, Andeutungen zu machen, ob es nicht schön wäre, wenn wir uns gleich am Tag seiner Rückkehr sehen könnten. Also am siebten, dem Tag der großen Gala. Je weiter ich mich zurückzog, umso vehementer bewegte er sich auf mich zu. Aber lag ihm wirklich etwas anmir? Oder sah er in mir mittlerweile nur eine weitere Herausforderung, die ihn reizte?
Ich dachte noch oft an Wes. Es war etwa zwei Wochen her. Und seitdem hatten wir nicht mehr miteinander gesprochen. In den ersten paar Tagen seit unserer Begegnung auf dem Parkplatz versuchte er mehrmals mich auf meinem Handy zu erreichen; doch wenn ich seine Nummer auf dem Display sah, legte ich das Handy weg, ließ es klingeln, schaltete irgendwann ab. Ich konnte mir gut vorstellen, was ihm bei diesem Verhalten im Kopf rumging: Wie ist die denn plötzlich drauf? Schließlich waren wir »nur« Freunde gewesen und hatten uns häufiger über Becky und Jason unterhalten. Also warum plötzlich nicht mehr? Ich wusste nicht, warum. Genauso wenig wusste ich, warum es mich so fertig gemacht hatte, ihn mit Becky zusammen zu sehen. Sie war zu ihm zurückgekommen, so wie Jason zu mir zurückkam. Worüber Wes sich wahrscheinlich freute. Warum auch nicht? Ich hätte mich vermutlich auch darüber freuen sollen, wie sich die Dinge entwickelten. Aber das Gefühl stellte sich einfach nicht ein.
Manchmal hörte ich noch was von Kristy, die in Baxter mittlerweile nicht mehr nur verknallt, sondern geradezu besessen von ihm war. »Ach, Macy, er ist so toll«, säuselte sie in mein Ohr. Und ihre Stimme klang dabei so glücklich, dass ich sie beinahe schon wieder hasste – wenn sie es nicht so sehr verdient hätte, glücklich zu sein. »Ein echter Supertyp. Ein Volltreffer!«
Insgeheim rechnete ich fest damit, sie würde mir irgendwann erzählen, dass Wes und Becky wieder zusammen seien, doch komischerweise erwähnte sie es nie. Vermutlich ahnte sie, dass sie damit bei mir einen wunden Punkt treffen würde. Allerdings meinte sie einmal, dass Wes nachmir gefragt habe. Ob zwischen uns irgendwas vorgefallen sei?
»Hat er so was behauptet?«, fragte ich zurück.
»Nein.« Sie wechselte den Telefonhörer von einem Ohr zum anderen. »Du kennst doch Wes. Er sagt nie viel.«
Doch, dachte ich. Doch, zu mir hat er mal sehr viel gesagt. »Da war nichts«, erklärte ich ihr. »Jedenfalls nichts Schlimmes. Wir haben wohl doch nicht so viel gemeinsam.« Und vielleicht stimmte das ja sogar.
Eigentlich sind Freitage gute Tage. Aber nicht für mich, jedenfalls nicht dieser Freitag. Und auch nicht für den Mann von der Betonfirma, der heute bei meiner Mutter im Büro stand. Dass es sowohl für ihn als auch für mich gerade den Bach hinunterging, wusste ich allerdings zu diesem Zeitpunkt noch nicht.
». . . ich bezahle keine Überstunden für einen Auftrag, der vor über einer Woche erledigt sein sollte. Das hatten Sie mir in Ihrem Angebot fest zugesichert«, hörte ich meine Mutter sagen. Dies war ihre vierte Besprechung mit einem Handwerker an diesem Tag und sie liefen alle gleich ab, sprich: nicht gut. Überhaupt nicht gut.
Der Betontyp setzte zu einer Erklärung an: »Leider war das Wetter –«
Meine Mutter fiel ihm barsch ins Wort: »Sie sind ein Profi. Sie sollten wissen, wie sehr einem in unserer Gegend das Wetter einen Strich durch die Rechnung machen kann, und das bei einem Angebot mit einkalkulieren, bevor sie irgendwelche Versprechungen machen. Wir haben Sommer. Und im Sommer regnet es nun mal öfter.«
Ihre Stimme klang in letzter Zeit so
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