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Zwischen jetzt und immer

Zwischen jetzt und immer

Titel: Zwischen jetzt und immer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Dessen
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Servierplatte bugsieren können. Vielleicht hatte ich die falsche Entscheidung getroffen. Aber was sollte ich machen   – ich hatte mich nun mal auf diesen Job eingelassen.
    Um drei schob ich meinen Stuhl zurück, stand auf und öffnete zum ersten Mal seit mehr als zwei Stunden den Mund: »Also dann, bis morgen.«
    Als Amanda den Kopf wandte, glitt ihr Zopf über ihre Schulter. Sie las schon die ganze Zeit in einem dicken Wälzer über italienische Geschichte. Jedes Mal wenn sie umblätterte, befeuchtete sie vorher kurz den Finger mit ihrer Zunge. Woher ich das wusste? Ich hatte es gehört. Jedes geschlagene Mal.
    »Oh . . . ja, natürlich«, sagte sie. »Bis morgen.«
    Und Bethany schenkte mir ein gezwungenes Lächeln.
    Während ich den Lesesaal in Richtung der gläsernen Eingangstür durchquerte, spürte ich ihre Blicke zwischen meinen Schulterblättern. Und dann, unvermittelt, die Geräusche der Welt: ein vorbeifahrendes Auto, Gelächter im Park auf der anderen Straßenseite, fernes Flugzeugbrummen. Einen Tag geschafft, dachte ich. Und nur noch einen Sommer vor mir.
     
    »Wenn es Spaß machen würde, hieße es nicht Arbeit.« Mit diesen Worten reichte meine Mutter mir die Salatschüssel.
    »Du hast bestimmt Recht«, antwortete ich.
    »Wart’s ab, irgendwann wird es leichter«, meinte sie im Brustton der Überzeugung. Sie hatte keine Ahnung, absolutund überhaupt gar keine. »In jedem Fall ist es eine gute Erfahrung und darauf kommt es wohl am meisten an.«
    Mittlerweile arbeitete ich seit drei Tagen in der Bibliothek und die Situation hatte sich kein bisschen entspannt. Ich klammerte mich an den Gedanken, dass ich es für Jason tat, weil es ihm so wichtig war, hatte allerdings das dumpfe Gefühl, Bethany und Amanda richteten mit vereinten Kräften ihre nicht gerade geringen IQs einzig und allein darauf, mich zu demoralisieren.
    Am ersten Tag hatte ich mich noch darum bemüht, in meiner E-Mail an Jason einen möglichst gelassenen, munteren Eindruck zu vermitteln. Doch am zweiten Tag, also gestern, konnte ich es mir nicht verkneifen, mich ein bisschen über Bethanys und Amandas Verhalten mir gegenüber auszulassen. Und dabei war gestern die Sache mit dem schlecht gelaunten Typen noch gar nicht passiert. Heute kam nämlich jemand vorbei, der offenbar eher widerwillig einen Sommersprachkurs in Französisch belegt hatte. Er fragte mich nach der Sektion »Französische Literatur«, was schlussendlich dazu führte, dass Bethany mich vor ihm zur Schnecke machte, weil ich ihrer Meinung nach den Namen Albert Camus falsch ausgesprochen hatte. Prompt hatte sie   – mit ihrem perfekt geschulten Gehör   – das Gefühl, mich korrigieren zu müssen, und zwar gleich zweimal.
    »Camüü«, sagte sie mit französisch gespitzten Lippen.
    »Camüü«, wiederholte ich, obwohl ich wusste, dass ich es richtig ausgesprochen hatte. Was ich nicht wusste, war, warum ich überhaupt zuließ, dass sie mich belehrte. Aber da saß ich. Und ließ es zu.
    »Nein, nicht so.« Sie reckte das Kinn ein wenig höher und ließ die Finger vor ihren Lippen flattern. »Camüüü.«
    Ich warf ihr einen stummen Blick zu. Egal wie oft ich eswiederholte   – es würde sie nicht überzeugen. Da hätte ich den guten alten Albert persönlich bitten können, seinen Namen für uns auszusprechen. Deshalb sagte ich nur: »Okay, danke.«
    »Gern geschehen.« Sie drehte sich auf ihrem blöden Stuhl weg von mir, zu Amanda hin, die sie nur mit einem milden Kopfschütteln anlächelte, bevor sie mit dem weitermachte, was sie eben gerade tat.
    Kein Wunder also, dass ich mich an jenem Tag besonders freute, als ich beim Checken meiner E-Mails eine von Jason entdeckte. Er wusste, wie unmöglich die beiden waren, er würde mich verstehen. Ja, ein bisschen Verständnis, eine kleine Bestätigung, das ist alles, was ich jetzt brauche, dachte ich, während ich die E-Mail mit dem gewohnten Doppelklick öffnete.
    Doch schon beim Überfliegen der ersten Zeilen wurde mir klar, dass mein Selbstbewusstsein oder die Tatsache, wie es mir ging, wie ich mich fühlte, zweitrangig waren   – zumindest für Jason, denn er schrieb:
Als ich deine letzte Mail las, war ich plötzlich etwas besorgt, dass du dich möglicherweise nicht ausreichend auf deine Aufgaben konzentrierst. Zwei volle Absätze lang beschreibst du die Arbeitsatmosphäre, aber die Fragen aus meiner letzten E-Mail beantwortest du nicht: Sind die neuen Ausgaben der
Wissenschaftlichen Monatsanthologie
eingetroffen? Bist

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