Zwischen jetzt und immer
Knie war genauso pechschwarz wie vor der Wäsche. »Aber vielleicht wird es jaauch schön.« Ich überlegte mir jedes Wort sehr genau. »Ich meine, wieder etwas zu haben, wo wir hinfahren können. Unser Haus am Meer.«
»Ich weiß nicht.« Meine Mutter fuhr sich mit der Hand durchs Haar. »Falls die Grundmauern tatsächlich marode sind, wäre es möglicherweise einfacher, das Haus insgesamt abzureißen und auf dem Grundstück etwas Neues aufzubauen.«
Ich hatte mich gerade zum Trockner hinuntergebeugt, um die letzten Klamotten rauszuholen, als sie das sagte, und erstarrte. Vor ein paar Minuten hatte ich zum ersten Mal seit über einem Jahr unser Ferienhaus wiedergesehen. Mir jetzt vorstellen, dass es genau wie so vieles andere eines Tages einfach weg sein könnte – das konnte ich nicht. »Ich weiß nicht. Meinst du wirklich, die Grundmauern sind schon so kaputt? Also, ich kann das irgendwie nicht so recht glauben.«
»Mama?«, rief Caroline aus der Küche. »Ich habe jetzt die Muster. Wo steckst du?«
»Ich komme«, rief meine Mutter über ihre Schulter hinweg. An mich gewandt, sagte sie mit etwas leiserer Stimme: »War bloß eine Idee. Nur ein Gedanke, nichts weiter.«
Eigentlich hätte es mich gar nicht wundern dürfen, dass meine Mutter auf so eine Idee kam. Schließlich plante und verkaufte sie Neubauten, das war ihr Beruf. Es war bloß logisch, dass ihr der Gedanke an etwas Perfektes, Unberührtes, Jungfräuliches besser gefiel als die Idee, etwas Altes neu herzurichten. Tag für Tag versuchte sie ihren Kunden den Traum von einem völlig neuen Anfang zu verkaufen. Was ihr nur gelang, wenn sie selbst an diesen Traum glaubte.
»Ist das neu?«, fragte sie.
»Was meinst du?«
Sie deutete auf das Top, das ich gerade in den Korb gelegt hatte. »Das habe ich noch nie an dir gesehen.«
Natürlich nicht, denn es gehörte Kristy und sah unter dem grellen Neonlicht in unserer Waschküche noch unpassender aus als an dem Abend, an dem ich mich darauf eingelassen hatte, es zu tragen. Obwohl ich es zusammengefaltet hatte, war nicht zu übersehen, dass es viel zu tief ausgeschnitten war, auf jeden Fall tiefer, als meiner Mutter lieb sein würde. Und die Glitzerfäden an den Trägern funkelten geradezu aufdringlich. In Kristys Zimmer, in Kristys Leben war es ungefähr so schockierend wie ein simples weißes T-Shirt . In unserer Waschküche dagegen fiel es total aus dem Rahmen.
»Das gehört nicht mir«, antwortete ich. »Ich habe es mir . . . äh . . . von einer Freundin geliehen.«
»Tatsächlich?« Meine Mutter beugte sich vor, um genauer hinsehen zu können. Anscheinend versuchte sie gerade – etwas mühsam – nachzuvollziehen, wie es dazu kommen konnte, dass eine meiner Freundinnen aus der Schülermitverwaltung so ein verwegenes Teil besaß. »Von wem denn?«
Unvermittelt tauchte Kristys Gesicht vor mir auf, ihr offenes, unbekümmertes Lächeln, ihre Narben, ihre großen blauen Augen. Wenn meine Mutter sich schon wegen dieses Glitzertops ansatzweise aufregte – wie würde sie dann wohl reagieren, wenn sie Kristy in voller Montur gegenüberstand oder meine anderen neuen Freunde von
Wish Catering
kennen lernte? Da ich mir ihre Reaktion lebhaft vorstellen konnte, erschien es mir ratsam und einfacher, zu antworten: »Von einer meiner Kolleginnen beim Catering. Gestern Abend habe ich mich mit Salatsauce bekleckert, deshalb hat sie mir das geliehen, sonst hätte ich in einem durchweichten T-Shirt heimfahren müssen.«
»Ach so«, sagte sie. Richtig erleichtert klang sie zwar nicht gerade, doch mit dieser Erklärung konnte sie offensichtlich leben. »Nett von ihr.«
»Ja«, antwortete ich, während sie sich abwandte, um in die Küche zu gehen, wo meine Schwester und ihre Dekostoffmuster auf sie warteten. »Finde ich auch.«
Als ich auf dem Weg zu meinem Zimmer an der Küche vorbeikam, hörte meine Mutter gerade mit skeptischem Gesichtsausdruck zu, wie Caroline ihr wortreich erklärte, dass Kord als Möbelstoff wieder voll im Kommen sei. Ich ließ die beiden mit diesem hoch spannenden Thema allein, ging nach oben, stellte den Wäschekorb auf mein Bett. Nachdem ich meine T-Shirts , Jeans und Shorts in den Fächern meines Kleiderschranks verstaut und mir meine guten Sachen für die Bibliothek zum Bügeln zurechtgelegt hatte, befanden sich bloß noch Kristys Jeans und das Top im Korb. Ich wollte die Sachen gerade auf den Tisch legen, damit ich beim nächsten Mal, wenn ich Kristy sah, daran denken würde,
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