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Zwischen jetzt und immer

Zwischen jetzt und immer

Titel: Zwischen jetzt und immer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Dessen
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Stacheldraht. Alle sind leicht unterschiedlich, haben aber dasselbe Grundkonzept.«
    »Eine Art Serie.«
    »Wahrscheinlich«, antwortete er. »Aber vor allem versuche ich irgendwie das Richtige zu tun, was immer das bedeutet.«
    Als ich meinen Blick über die Lichtung wandern ließ, entdeckte ich plötzlich Kristy. Ihr blonder Kopf hüpfte beim Gehen zwischen den anderen auf und ab wie ein Ball auf den Wellen.
    »Ist schwer«, meinte ich.
    Wes sah mich an. »Was?«
    Ich schluckte. »Das Richtige zu tun.« Keine Ahnung, warum ich das überhaupt sagte.
    Bestimmt hält er mich für total bescheuert, dachte ich und schwor mir von jetzt an den Mund zu halten. Doch Wes nahm bloß eins seiner neuen alten Stahlrohre in die Hand, wendete es hin und her. »Ja, das stimmt«, erwiderte er nach kurzem Zögern.
    Kristy ging gerade in der Nähe des Bierfasses vorbei. Sie sagte etwas zu Monica, warf den Kopf in den Nacken und lachte.
    »Das mit deiner Mutter tut mir Leid«, sagte ich zu Wes. Ohne mir vorher überlegt zu haben, was genau ich damit ausdrückte. Oder eben auch nicht. Ich achtete nicht auf die Bedeutung der Worte, wägte nicht jedes einzelne ab, sondern sprach sie einfach aus. Vielmehr sprachen sie sich fast von selbst. Als hätte ich damit gar nichts zu tun.
    »Tut mir Leid, das mit deinem Vater«, entgegnete er mir. Wir sahen beide geradeaus, nicht einander an. »Ich kann mich an ihn erinnern. Er hat das Kinderteam beim Laufen trainiert. War ’n guter Typ, dein Dad.«
    Ich spürte plötzlich, wie mein Hals eng wurde. Eine unvermittelte Welle von Traurigkeit stieg in mir auf. Erwischte mich kalt. Ich schnappte förmlich nach Luft. Denn man gewöhnte sich einfach nicht dran. Gewöhnt sich nicht dran, dass jemand weg ist. Immer wenn man glaubt, man hätte sich endlich damit abgefunden, legt irgendwer den Finger auf die Wunde   – und es haut dich um. Der Schock zieht dir jedes Mal wieder den Boden unter den Füßen weg.
    »Warum hast du aufgehört?«, fragte er abrupt.
    »Womit aufgehört?«
    »Mit dem Laufen.«
    Ich starrte in meinen leeren Becher. »Keine Ahnung«, behauptete ich, obwohl jener Tag nach Weihnachten sofort wieder vor meinem inneren Auge lebendig wurde. »Ich hatte einfach keine Lust mehr.«
    Am anderen Ende der Lichtung unterhielt Kristy sich mit einem großen Blonden, der ihr offensichtlich irgendeine lange, umständliche Geschichte erzählte und dabei ausladend gestikulierte. Kristy musste sich förmlich ducken, damit sie nicht aus Versehen eine verpasst bekam.
    »Wie schnell warst du?«, fragte Wes.
    »Nicht so schnell.«
    »Du meinst, du konntest gar nicht . . . fliegen?« Er lächelte mich an.
    Blöde Rachel, dachte ich. »Nein.« Und spürte, wie ich schon wieder rot wurde. »Ich konnte nicht fliegen.«
    »Was war deine persönliche Bestzeit?«
    »Warum fragst du?«
    »Einfach so.« Er drehte das Rohr in seiner Hand. »Ich meine bloß . . . ich laufe nämlich auch. Schätze, ich bin einfach neugierig.«
    »Ich weiß es nicht mehr«, antwortete ich.
    »Ach komm, jetzt verrat’s mir. Ich bin ein großer Junge, ich halte das schon aus.« Er stieß mit seiner Schulter gegen meine. Ich glaub’s nicht, dachte ich. Ich glaube es nicht.
    Obwohl der Fuchtelkerl noch auf sie einquatschte, blickte Kristy jetzt zu uns herüber. Selbst auf die Entfernung konnte ich erkennen, dass sie mich ansah und die Augenbrauen hob. Dann wandte sie sich wieder ihm zu, gerade rechtzeitig, um dem nächsten Schwinger auszuweichen.
    »Okay, wenn du’s unbedingt wissen musst«, sagte ich. »Meine Bestzeit pro Kilometer waren drei Minuten vier achtunddreißig.«
    Er starrte mich an. Und sagte schließlich: »Oh.«
    »Was ist? Was war dein Rekord?«
    Sich räuspernd wandte er den Kopf ab. »Vergiss es.«
    »He, das ist nicht fair«, protestierte ich.
    »Auf jeden Fall mehr als drei Minuten vier achtunddreißig.« Wes lehnte sich zurück, stützte sich auf seine Hände. »Können wir es jetzt bitte dabei belassen?«
    »Aber das ist Jahre her«, sagte ich. »Heute würde ich in der Zeit vermutlich nicht mal mehr einen halben Kilometer schaffen.«
    »Wetten, dass doch.« Er hielt das Stahlrohr hoch, betrachtete es prüfend. »Ich wette, du wärst viel schneller, als du denkst. Vielleicht nicht schnell genug, um zu fliegen, aber immerhin.«
    Ich merkte, dass ich lächelte, und hörte sofort wieder damit auf. »Und ich wette, du rennst mir mit Leichtigkeit davon.«
    »Tja, vielleicht finden wir eines Tages ja mal zusammen raus, ob

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