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Zwischen jetzt und immer

Zwischen jetzt und immer

Titel: Zwischen jetzt und immer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Dessen
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kapierte schnell und hatte längst gemerkt, wie man am besten mit meiner Schwester umging: Indemman sie einfach machen ließ. Deshalb antwortete er bloß: »Aha.« Und fügte an mich gewandt mit gedämpfter Stimme hinzu: »Mir hat einfach das alte Schild gefallen.«
    »Kann ich mir vorstellen«, antwortete ich.
    Ein leichter Wind kam auf, so dass die Heiligenscheine der kleineren Figuren sich wieder in Bewegung setzten. Bei einem hatte Wes mehrere Glöckchen eingearbeitet, die jetzt leise bimmelten. Ich beugte mich vor, schaute genauer hin: Hinter den Glöckchen, die wie auf einem Karussell an mir vorbeisausten, entdeckte ich eine etwas größere Skulptur, die sich entsprechend langsamer drehte. Ein kleiner Engel mit einem Heiligenschein aus flachen Steinen. Doch als ich einen davon berührte, merkte ich, dass es sich gar nicht um einen Stein handelte, konnte jedoch nicht sofort einordnen, was genau es war.
    »Was ist das?«, fragte ich Wes.
    »Abgeschliffene Glasscherben. Vom Meer.« Wes stand dicht neben mir, beugte sich mit mir zusammen vor. »Siehst du die Formen? So glatt, fast weich. Überhaupt keine scharfe Kanten mehr.«
    »Natürlich, Strandglas. Das ist ja super.«
    »Und schwer zu finden«, meinte er. Der Wind flaute wieder ab. Wes streckte die Hand aus und stupste den Heiligenschein mit einem Finger an, damit er sich weiterdrehte und das Sonnenlicht sich im Glas brach. Er stand so dicht neben mir, dass sich unsere Knie beinahe berührten. »Ich habe eine ganze Sammlung davon auf dem Flohmarkt gekauft, für zwei Dollar oder so. In dem Moment wusste ich zwar noch gar nicht, was ich damit anstellen sollte, aber die Dinger waren einfach zu cool, um sie
nicht
mitzunehmen.«
    »Diese Skulptur ist wunderschön«, sagte ich. Und daswar absolut die Wahrheit. Je schneller der Heiligenschein sich drehte, umso mehr verschwammen die Farben ineinander, vermischten sich die Lichtbrechungen im Glas. Wie beim Meer, dachte ich, und betrachtete das Gesicht des Engels. Er hatte Augen aus Dichtungsringen, und sein Mund war ein winziger Schlüssel, genauso einer wie der, den ich früher gehabt hatte, um mein Tagebuch abzuschließen. Was mir jetzt erst auffiel.
    »Möchtest du ihn haben?«
    »Das geht nicht«, antwortete ich.
    »Natürlich geht das. Ich schenke ihn dir.« Er hob den Engel hoch, ließ seine Finger über die winzigen Zehen gleiten. »Hier, nimm.«
    »Wes, nein.«
    »Doch. Irgendwann schenkst du mir dafür was anderes, okay?«
    »Was denn?«
    Er überlegte kurz, bevor er antwortete: »Wir laufen einen Kilometer zusammen und finden raus, ob du mich schlägst oder nicht.«
    »Ich würde dir lieber was dafür bezahlen.« Ich holte mein Portemonnaie aus meiner Hosentasche. »Wie viel?«
    »Macy, ich habe nur Spaß gemacht. Ich weiß, dass du schneller bist als ich.« Wieder lächelte er mich an. Bäng, dachte ich.
    »Jetzt nimm schon.« Er hielt mir den Engel hin.
    Ich wollte gerade noch einmal widersprechen, doch dann überlegte ich es mir anders. Warum nicht ausnahmsweise mal was geschehen lassen, fragte ich mich und betrachtete den Engel in seiner Hand, die funkelnden Glasstücke. Ich wollte diese Skulptur. Ich hätte zwar nicht erklären können, warum, hätte nicht gewusst, was ich sagen sollte, wenn ichdanach gefragt worden wäre. Aber ich wollte den Engel, Punkt.
    »Okay«, erwiderte ich. »Aber irgendwann und irgendwie bezahle ich dir was dafür.«
    »Wie du willst.« Er drückte mir den Engel in die Hand.
    Caroline näherte sich, wobei sie vor jeder einzelnen der kleineren Skulpturen stehen blieb, um sie genauestens zu betrachten. Gleichzeitig telefonierte sie auf ihrem Handy, das sie aus der Handtasche geholt hatte ohne diese wieder zu schließen: ». . . nein, eher so was wie Freilichtskulpturen. Sie würden wunderbar auf die hintere Terrasse in den Bergen passen, du weißt schon, oberhalb des Steingartens, den ich anlegen will. Schade, dass du nicht hier bist, um sie dir selbst anzuschauen. Sie sind tausendmal schöner als die gusseisernen Reiher, die sie bei uns im Gartencenter für Hunderte von Dollar verhökern.   – Ich weiß, Liebling, dir haben die Reiher gut gefallen, aber diese Skulpturen sind viel besser, glaub mir.«
    »Gusseiserne Reiher?« Wes blickte mich fragend an.
    »Sie wohnt in Atlanta«, sagte ich, als würde das alles erklären.
    »Okay, Schatz, ich muss Schluss machen. Bis später. Ich liebe dich, tschü-üs.« Sie klappte das Handy zusammen, ließ es in ihre Tasche fallen, klappte

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