Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zwischen jetzt und immer

Zwischen jetzt und immer

Titel: Zwischen jetzt und immer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Dessen
Vom Netzwerk:
einen einzigen zusammenhängenden Satz über die Lippen zu bringen. Und jetzt diskutierten wir über Getränke.
    »Okay, zurück zum Thema«, meinte er. »Was muss ich über das Wahrheitsspiel noch wissen?«
    Ich holte tief Luft. »Um zu gewinnen, muss man eine Frage stellen, die der andere nicht beantworten will. Sagen wir mal, ich stelle dir eine Frage und du weigerst dich zu antworten. Dann darfst du mir eine stellen, aber wenn ich sie beantworte, habe ich gewonnen.«
    »Viel zu einfach«, meinte er. »Und wenn ich dich was total Harmloses frage?«
    »Das würdest du nicht«, antwortete ich. »Man stellt in so einem Moment immer eine richtig schwierige, heikle Frage. Weil man nämlich gewinnen
will
. Du auch.«
    »Aha.« Er nickte, zögernd, aber zustimmend. Dachte noch einen Moment lang über das nach, was ich gesagt hatte. Nickte erneut: »Mann, klingt wirklich hart. Das kann höllisch werden.«
    »Ist ein typisches Mädchenspiel, zum Beispiel dann, wenn alle zusammen bei einer Freundin übernachten und Lust auf Drama haben.« Ich legte meinen Kopf in den Nacken und sah zu den Sternen empor. »Ich habe dir gesagt, dieses Spiel willst du gar nicht spielen.«
    »Doch.« Er streckte sich, warf sich in die Brust. »Das kriege ich schon hin.«
    »Ehrlich?«
    »Ja. Schieß los.«
    Nun dachte ich einen Augenblick lang nach. Wir liefen an der gelben Mittellinie entlang. Der Mond warf schräge Strahlen zu uns herab. »Also gut«, sagte ich schließlich. »Lieblingsfarbe?«
    Er warf mir einen Blick zu. »Die Frage ist eine Beleidigung. Du brauchst mich nicht zu schonen.«
    »Ich will dich nicht schonen, nur langsam an das Spiel gewöhnen«, antwortete ich.
    »Vergiss das mit dem Gewöhnen. Frag mich was Richtiges.«
    Ich verdrehte die Augen. »Ja ja, schon gut.« Und dann fragte ich ohne nachzudenken: »Weswegen wurdest du auf die Myers School geschickt?«
    Wes schwieg. Auf einmal war ich mir sicher, dass ich zu weit gegangen war.
    Doch schließlich antwortete er: »Ich bin zusammen mit ein paar Kumpels eingebrochen. Wir haben nichts geklaut, nur ein paar Bier aus dem Kühlschrank genommen und getrunken. Aber ein Nachbar sah uns von nebenan und alarmierte die Bullen. Als sie auftauchten, sind wir getürmt, aber sie haben uns erwischt.«
    »Warum hast du das überhaupt gemacht?«
    »Was? Abhauen?«
    »Nein«, antwortete ich, obwohl mich das ebenfalls interessiert hätte. »Einbrechen.«
    Wes zuckte die Schultern. »Keine Ahnung. Meine Kumpels hatten solche Aktionen schon ein paar Mal gebracht, ich bis dahin noch nie. Ich habe eben mitgemacht, weil ich in dem Moment zufällig mit ihnen herumhing.« Er fuhr sich mit der Hand durchs Haar. »Es war das erste Mal, dass ich überhaupt was Strafbares gemacht habe. Das erste und einzige Mal. Aber Staatsanwalt und Richter waren zu der Zeit auf dem Trip, dass sie einem harte Strafen verpassten, um es einem von vornherein gründlich auszutreiben. Deshalb buchteten sie mich ein. Eigentlich für sechs Monate, aber ich war nach vieren wieder draußen.«
    »Mein Freund«, begann ich, hatte aber sofort das Gefühl, mich dringend korrigieren zu müssen, und fügte deshalb hinzu: »Mein angeblicher Ex-Freund oder auch nicht war oft in Myers, um Nachhilfestunden zu geben.«
    »Echt?«
    Ich nickte. »Ja.«
    »Genau, was ist eigentlich mit diesem so genannten Freund los?«, fragte er.
    »Bitte?«
    »Ich bin dran mit Fragen«, antwortete Wes. »So läuft das Spiel doch, oder?«
    »Äh . . . ja, stimmt«, sagte ich.
    Wes machte eine lässige Geste, nach dem Motto: Hab ich Recht oder hab ich Recht? Das kann ja toll werden, dachte ich, und spähte angestrengt in die Ferne, ob vielleicht irgendwo Scheinwerferlicht zu sehen wäre. Vergeblich.
    »Ich warte«, meinte Wes. »Gibst du auf?«
    »Nein«, entgegnete ich bissig. »Ich werde antworten. Ich denke bloß darüber nach, wie ich es formulieren soll.«
    Wieder vergingen ein paar Sekunden.
    »Gibt es eine zeitliche Begrenzung bei dem Spiel?«, fragte er. Ich funkelte ihn an.
    »Man wird ja wohl noch fragen dürfen«, murmelte er leicht spöttisch.
    »Na gut.« Ich holte tief Luft. »Wir waren ungefähr anderthalb Jahre zusammen. Und er ist so . . . er ist so was wie ein Genie, musst du wissen. Hyperbegabt, hochintelligent, super engagiert. Am Anfang der Sommerferien ist er weggefahren, worauf ich wohl ein bisschen zu sehr geklammert habe, falls du verstehst, was ich meine. Da hat er anscheinend Angst bekommen. Er braucht eben seine

Weitere Kostenlose Bücher