Zwischen jetzt und immer
es etwas zu trinken und nichts zu essen. Mehr sage ich gar nicht.«
»Du bist ja eine richtige Pedantin«, meinte er. »Ich wusste gar nicht, dass du so auf Regeln abfährst.«
»Es war einfach nötig, darauf zu achten, weil meine Schwester bei allem gemogelt hat.«
»Sogar bei diesem Spiel?«
»Bei jedem Spiel«, antwortete ich. »Wenn wir Monopoly gespielt haben, wollte sie immer die Bank verwalten und zahlte sich dafür bei jedem Kauf oder Verkauf von Grundstücken und Häusern alle möglichen Kredite und Servicegebühren aus. Erst als ich mit zehn oder elf Jahren mal bei wem anders Monopoly gespielt habe, kriegte ich mit, dass man das gar nicht darf.«
Wes lachte. Auch dieses Geräusch wirkte in der Stille lauter, als es war. Ich musste bei der Erinnerung ebenfalls lächeln.
»Du weißt doch, es gibt ein Spiel, bei dem man einander anstarrt, und der, der als Erster blinzelt, hat verloren«, fuhr ich fort. »Sie hat immer geblinzelt,
immer
, schwor aber jedes Mal, das stimme nicht, absolut nicht, wie kommst du darauf, dass ich geblinzelt habe, und zwang einen weiterzumachen, bis sie tatsächlich gewonnen hatte. Und bei Wahrheit log sie grundsätzlich.«
»Wahrheit?« Er warf einen Blick über die Schulter, weil hinter uns ein leicht gruseliger Ruf ertönte. Ich hoffte, dass es wieder eine Eule und nicht irgendetwas anderes war.
»Was ist das jetzt wieder, Wahrheit?«, fuhr Wes fort.
Ich sah ihn an. »Sag bloß, du hast noch nie Wahrheit gespielt«, antwortete ich. »Was habt ihr früher eigentlich gemacht, wenn ihr im Auto unterwegs wart?«
»Über Politik und aktuelles Zeitgeschehen oder andere anregende Gesprächsthemen diskutiert.«
»Oh.«
»Das war ein Witz.« Er lächelte. »Normalerweise haben wir Comics gelesen und uns hinten auf der Rückbank geprügelt,bis mein Vater drohte, anzuhalten und ›die Sache ein für alle Mal zu regeln‹. Typischer Spruch von ihm. Später, als wir dann nur noch mit meiner Mutter unterwegs waren, haben wir Folksongs gesungen.«
Da musste ich doch mal nachfragen. »Ihr habt Folksongs gesungen?« Irgendwie schwer vorstellbar.
»Ich hatte keine andere Wahl. Es war wie bei dem Linsenauflauf. Alternativen gab es nicht.« Er seufzte tief. »Ich kenne sämtliche Lieder von Woody Guthrie auswendig.«
»Singst du mir was vor?« Ich stieß ihn mit dem Ellbogen an. »Du willst mir doch ganz bestimmt was vorsingen.«
»Nein«, erwiderte er knapp.
»Komm, mach schon. Ich wette, du kannst super singen.«
»Nein.«
»Wes«, sagte ich mit ernster Stimme.
»Macy«, entgegnete er ebenso ernst. »Nein.«
Eine Zeit lang gingen wir wieder schweigend nebeneinanderher. In weiter Ferne sah ich plötzlich Scheinwerferlicht, doch der Wagen bog ab. Wes atmete entnervt durch und ich fragte mich, wie weit wir wohl schon gelaufen waren.
»Okay, zurück zur Wahrheit«, sagte er. »Wie spielt man das?«
»Fällt dir kein anderes Nahrungsmittel mit S mehr ein?«, konterte ich.
»Quatsch«, antwortete er entrüstet. Doch dann: »Kann schon sein. Also, wie geht Wahrheit?«
»Das können wir nicht spielen«, antwortete ich. Vor uns stieg der Weg jetzt leicht an und aus dem Nichts tauchte plötzlich ein Zaun neben der Straße auf.
»Warum nicht?«
»Weil es ziemlich ekelig werden kann«, antwortete ich.
»Inwiefern?«
»Ist einfach so. Man muss nämlich die Wahrheit sagen, selbst wenn man nicht will.«
»Damit komme ich schon klar«, erwiderte er.
»Dir fällt doch nicht mal mehr ein Lebensmittel mit S ein«, sagte ich.
»Dir denn?«
»Schnecken«, antwortete ich. »Salbeinudeln.«
»Okay, okay, ich glaube dir ja. Trotzdem – verrate mir jetzt endlich, wie man Wahrheit spielt.«
»Na gut, aber sag später nicht, ich hätte dich nicht gewarnt.«
Er warf mir bloß einen Blick zu. Okay, dachte ich, wie du willst.
»Es gibt bei Wahrheit nur eine einzige Regel. Nämlich dass man die Wahrheit sagen muss.«
»Und wie gewinnt man?«, erkundigte er sich.
»Typisch«, meinte ich. »So eine Frage können auch nur Jungen stellen.«
»Wieso? Weil Mädchen keinen Wert darauf legen, zu gewinnen?« Er lachte trocken auf. »Erzähl mir nichts. Du warst doch diejenige, die plötzlich auf die Regeln pochte und mir nicht zugestehen wollte, dass Slim Fast etwas zu essen ist.«
»Ist es auch nicht, sondern was zu trinken.«
Er verdrehte die Augen. Ich fasse es nicht, dachte ich. Noch vor ein, zwei Wochen war es eine echte Herausforderung für mich gewesen, in Wes’ Gegenwart auch nur
Weitere Kostenlose Bücher