Zwischen Krieg und Terror
im August 2004 leitete John Negroponte, der US-Botschafter im Irak, 2,5 Milliarden Euro, deren Verwendung eigentlich für die Wiederbelebung der Infrastruktur gedacht war, in die Aufstellung und Ausbildung von Sicherheitstruppen um. 50 000 zusätzliche Polizisten, 16 000 Nationalgardisten und 16 000 Grenzpolizisten sind zwar notwendig, aber wer glaubt, durch einen hastigen Aufbau des Sicherheitsapparats die Probleme lösen zu können, verschärft sie nur. Waren anfangs 90 000 Personen für die Aufrechterhaltung des irakischen Sicherheitswesens vorgesehen, so arbeiten 2006 bereits 220 000 Menschen in diesem Bereich. Und dennoch gelingt es nicht, die Lage unter Kontrolle zu bringen.
Wollten die USA den Irak im April 2003, also nach dem Sturz Saddam Husseins, noch entmilitarisieren, so besteht 2005 ihr oberstes Ziel darin, so schnell wie möglich einen neuen Sicherheitsapparat aufzubauen. 240 000 Polizisten, Soldaten und Geheimdienstmitarbeiter sollen Ruhe und Ordnung wiederherstellen. Die Gegner der USA können frohlocken, weil die Ausgaben für den Sektor Sicherheit im irakischen Budget andere, eigentlich notwendigere Investitionen blockieren. Damit wird eine für den Irak verhängnisvolle Tradition fortgesetzt. Bereits während der Diktatur Saddam Husseins hatten Militär, Polizei und Geheimdienste absolute Priorität bei der Zuteilung staatlicher Mittel. Für den Auf- und Ausbau der zivilen Infrastruktur blieb dann kein Geld mehr.
Nicht nur die hohen Ausgaben für den Sicherheitsbereich, sondern auch Betrug und Korruption wirken als Aufbaubremsen. Die finanziellen Verluste des irakischen Staates belaufen sich nach Schätzungen von Prüfern der Regierung bisher auf drei Milliarden Euro. Der Fall des ehemaligen Verteidigungsministers Hazem Al Shaalan macht deutlich, in welcher GröÃenordnung Veruntreuung vermutet wird. Eine irakische Regierungskommission wirft ihm vor, zusammen mit weiteren Mitarbeitern des Ministeriums umgerechnet 800 Millionen Euro unterschlagen zu haben. Allein 250 Millionen Euro soll der Minister in einer einzigen Aktion von der Zentralbank abgezweigt und mit einem Privatflugzeug nach Beirut geschafft haben. Dort sei das Geld Waffenhändlern übergeben worden, deren Namen er nicht preisgeben könne, verteidigt sich Al Shaalan, der die Vorwürfe als eine Intrige politischer Gegner abtut. Offiziell sollten mit dem Geld Panzer gekauft werden. Dabei gab es weder einen Kabinettsbeschluss für diese Anschaffung noch eine Ausschreibung oder Angebote. 18
Die durch Korruption verursachten Schwierigkeiten sind für die stellvertretende Sonderinspektorin für den Wiederaufbau Iraks, Ginger Cruz, ein sehr gravierendes Problem: »Wir kämpfen gegen zwei Aufstände - einen terroristischen und kriminellen sowie einen der Korruption.« 19 Die US-Behörde untersucht 86 Fälle, in denen es zu UnregelmäÃigkeiten bei amerikanischen Aufträgen für den Wiederaufbau gekommen sei. Das Bestechungsunwesen konnte auch deshalb solche AusmaÃe annehmen, weil die Mitglieder der irakischen Regierung keinerlei Kontrolle unterliegen. Der von der US-Regierung eingesetzte Generalinspekteur für den Wiederaufbau erachtet die »Korruption weiterhin als ernsthafte Bedrohung für die irakische Demokratie«. In einer Anhörung durch den US-Senat beziffert er den Umfang der Bestechungen unter Hinweis auf irakische Schätzungen auf jährlich drei Milliarden Euro. Der irakische Sicherheitsberater Mowaffak Al Rabaie hält die Korruption für »stärker als zur Zeit Saddam Husseins«. 20
Auch die Entwicklung der Ãlindustrie wird zu einem wichtigen Teil durch Bestechung beeinflusst. Dabei stellt der Export des Erdöls die einzige bedeutende Einnahmequelle Iraks dar. Im Staatshaushalt 2007 reichen die Erlöse aus dem Ãlgeschäft nicht einmal, um die Löhne und Gehälter der Staatsbediensteten zu zahlen. Bis 2006 blieben die Ãleinnahmen deutlich hinter den Erwartungen zurück. Die Eindämmung der Korruption im Erdölsektor gilt als Voraussetzung für die Stabilisierung des Landes. Dabei hatte die US-Zivilverwaltung gehofft, dass Irak bereits wenige Monate nach dem Sturz Saddam Husseins täglich 3,5 Millionen Barrel exportieren werde. Natürlich kann der desolate Zustand der irakischen Erdölindustrie nach zwanzig Jahren Krieg und Sanktionen nur allmählich behoben werden. Seit den achtziger Jahren des
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