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Zwischen Krieg und Terror

Titel: Zwischen Krieg und Terror Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Tilgner
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gewähren, wenn sie jemanden akzeptieren und damit der Obhut ihrer Untergebenen anvertrauen. Denn in welchen Teil der Wüste der arabischen Halbinsel man auch kommt, den Scheichs wird bis heute Folge geleistet. Etwas anderes kann sich ein einfacher Schafzüchter, der mit Familie und Herde von Wasserstelle zu Wasserstelle zieht, auch gar nicht vorstellen. Für die Beduinen bilden Beharrlichkeit und konsequentes Festhalten an überlieferten Regeln die Grundlage für das Überleben in der unerbittlichen Wüste. Das Wort des Scheichs gilt mehr als der Befehl eines Ministers, zumal wenn er einer von den USA abhängigen Regierung in Bagdad angehört.
    Bereits im Alten Testament galt die Wüste als Refugium für Gesetzlose. Neben den Flusskulturen mit den Ackerbauern und ihrer schon in vorislamischen Zeiten entstandenen Bewässerungstechnik lebten die Nomadengesellschaften in der Wüste. Das waren jene Stämme, welche von den Heeren der Assyrer bedrängt wurden, die bereits im siebten vorchristlichen Jahrhundert große Teile der Tigrisregion von ihrer Hauptstadt Ninive aus beherrschten. Seit alters her bestehen Kontakte zwischen den Sesshaften und den Beduinen. Aber die nutzten die Weite der Wüste, um sich der Kontrolle der Reiche zu entziehen, die sich in der Region von Euphrat und Tigris ablösten. Die Reiche wiederum, die sich in einer der Wiegen der Zivilisation, wie das Zweistromland, das Einzugsgebiet von Euphrat und Tigris, auch genannt wird, etablierten, waren stets durch Nomaden bedroht. Denn diese sahen sich gezwungen, in Trockenperioden neue Weidegründe in der Nähe der Flüsse zu suchen. In einigen Fällen drangen sie aber auch in die Siedlungen der Sesshaften ein, um diese auszuplündern. Raub erachten etliche Beduinen bis heute nicht grundsätzlich als Verbrechen, sondern vielfach als Broterwerb. Allerdings wussten die Stämme auch früher sehr genau, dass solche Beutezüge nur bei einer angemessenen Stärke möglich waren.
    Auch bei Bestrafungen gelten in der arabischen Wüste andere Maßstäbe als im heutigen Europa. Strafen werden als Sühne gesehen und müssen nicht an den schuldigen Individuen ausgeführt werden. Gehören sie einem Stamm an, so kann auch ein anderes Mitglied dieser Gemeinschaft belangt werden. Deshalb müssen in der Stammesgesellschaft manchmal Menschen, die sich nichts zuschulden haben kommen lassen, für die Straftaten anderer büßen - so fremd dies Europäer auch anmuten mag.
    Aus diesem Grund werden Beduinen auch heute noch persönliche Schmach, die ihnen einzelne Soldaten zugefügt haben, mit Angriffen auf andere Soldaten rächen.
    Die Angegriffenen wiederum fassen dies als Feindseligkeit auf, die nur mit Waffengewalt beantwortet werden kann. So liegt der Eskalation der Gewalt im Irak in einigen Fällen auch die Verständnislosigkeit zugrunde, mit der beide Seiten sich begegnen. In dieser Art Auseinandersetzung treten alte Kampfmuster zutage, die sich zwischen den Beduinen - also den Stämmen der Wüste - und den Städtern des Zweistromlands in Jahrtausenden herausgebildet haben. Sie werden weder von der Politik der Amerikaner noch von den Offizieren der US-Armee vor Ort bei ihrem Vorgehen gegenüber Beduinen berücksichtigt. Die von Schiitenpolitikern in Bagdad gestellte Regierung verstärkt diese Fehler, weil sie sich nicht um die Bevölkerungsgruppe der Wüstenregionen bemüht. Während in Kurdistan und im von den Schiiten bewohnten Südirak die Arbeitslosigkeit abgemildert wird, indem man zusätzliche Stellen für Angestellte und Beamte schafft, bricht die Verwaltung in den Siedlungsräumen der Sunniten zusammen. Die Rückkehr vieler verarmter Soldaten und Offiziere zu ihren Familien vertieft die sozialen Probleme nur noch. Damit steigt zugleich die Bereitschaft, der Regierung und den ausländischen Soldaten Widerstand zu leisten.
    Im Aufruhr der Stämme und in deren Auseinandersetzungen mit den ausländischen Soldaten bietet sich für Zarqawi die große Chance, seinen Einfluss zu vergrößern. Er erweist sich als ein Meister darin, die Stammesinteressen für sich zu nutzen. In Sprache und Lebensgewohnheiten ähnelt er ihnen, weshalb es ihm gelingt, die Freiheitsliebe der Wüstenbewohner und deren Solidaritätsbedürfnis für seine Zwecke zu missbrauchen. Von Kampf, Krieg und Tod lassen sich diese Menschen nicht abschrecken. So

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