Zwischen Leidenschaft und Liebe
jüngsten Sohnes. Sie war daran gewöhnt, diesen Ausdruck auf den Gesichtern ihrer anderen Kinder zu sehen, aber Harry hatte sie bisher immer nur mit liebevollen Augen betrachtet.
»Und du wirst deinen Teil unseres Handels erfüllen?« fragte er.
»Natürlich. Und nun, mein Liebling, bleib hier bei mir, damit wir zusammen essen können. Ich habe einen Lachs zubereiten lassen, wie du ihn am liebsten ißt.«
Harry brauchte eine Weile, ehe er antwortete: »Nein. Ich glaube nicht, daß ich mit dir essen möchte. Ich werde den Lunch mit Claire einnehmen.« Dann machte er kehrt und ließ sie allein im Zimmer zurück.
Claire verbrachte den Tag mit Harry. Sie war ihm keine gute Gesellschafterin. Sie starrte ständig aus dem Fenster, weil sie hoffte, einen Blick auf Trevelyan zu erhaschen. Sie schwieg, als Harry ihr von seiner Reise nach Edinburgh erzählte, aber sie mußte sich anstrengen, ihm die Rolle einer interessierten Zuhörerin vorzuspielen. Wie groß war doch der Unterschied zwischen seiner und Trevelyans Konversation!
Sie zwang sich, die beiden nicht ständig zu vergleichen. Harry war der Mann, den sie heiraten würde. Vielleicht war er nicht so interessant wie Trevelyan, aber schließlich gab es nur einen Captain Baker auf dieser Welt. Es war nicht fair, einen gewöhnlichen Mann wie Harry mit einer weltberühmten Persönlichkeit wie Captain Baker zu vergleichen.
»Entschuldigung. Ich habe nicht gehört, was du eben sagtest.«
Er langte über den Tisch und nahm ihre Hand in seine. »Wenn du darauf wartest, daß Trevelyan zu dir kommt, wartest du vergeblich. Er ist kein Mann, den man besitzen kann.«
»Aber er sagte, daß er mich liebt.« Claire weinte vor Verzweiflung.
Harry lehnte sich zurück, und sie war überzeugt, daß sie ihn zutiefst verletzt hatte. »Sagte er das?« fragte Harry mit leiser Stimme. »Ich kann mich erinnern, daß er das schon einmal gesagt hat.«
Claire sah zur Seite und versuchte sich blinzelnd von ihren Tränen zu befreien. Sie konnte nur noch an Trevelyan denken. Wenn er sie liebte - warum kam er dann nicht zu ihr? Wie konnte er zulassen, daß sie ihre Zeit mit einem anderen Mann verbrachte? War er mit Nyssa zusammen? Hatte er sie bereits durch eine andere Frau ersetzt?
Harry hatte gütigerweise ein privates Souper für sie beide in der Bibliothek servieren lassen, aber Claire hatte keinen Appetit. Sie stocherte auf ihrem Teller herum. Harry machte ein paar Versuche, eine Konversation in Gang zu bringen, aber nach ein paar einsilbigen Antworten blieb er stumm.
Nach dem Souper war Claire so müde, daß sie sich kaum zu ihrem Zimmer hinaufschleppen und auskleiden konnte. Aber als sie im Bett lag, konnte sie nicht schlafen. Sie lag regungslos da und starrte zum Betthimmel.
Als sich das Porträt an der Wand bewegte, sprang sie aus dem Bett und rannte zu ihm. »Vellie!« rief sie mit hoffnungsvoller Stimme. Er war zu ihr gekommen.
Aber es war nicht Trevelyan, sondern ihre Schwester. Brat. Claire drehte sich um und begab sich lustlos wieder zu ihrem Bett.
»Du solltest um diese Zeit längst schlafen«, sagte sie, aber mehr aus Gewohnheit als aus ehrlicher Fürsorge.
Zu Claires Verdruß kletterte Brat zu ihr ins Bett und umarmte sie heftig.
»Was ist geschehen?« flüsterte Brat. »Ich verstehe nichts mehr.«
Claire hätte nicht geglaubt, daß ihre kleine Schwester anschmiegsam sein konnte.
»Ich werde Harry heiraten«, sagte Claire. Sie wollte das Kind nicht belügen.
»Aber du liebst Trevelyan, und er liebt dich.«
Claire holte tief Luft. »Manchmal besteht eine Ehe nicht nur aus Liebe. Manchmal muß man andere Dinge dabei berücksichtigen.«
»Damit meinst du mich, nicht wahr? Du wirst Harry heiraten, damit du das Geld bekommst und verhindern kannst, daß ich arm bin.«
»Was für eine absurde Idee. So etwas mache ich nicht. Harry ist ein reizender Mann. Ich habe eingewilligt ihn zu heiraten, weil ich ihn liebe. - Ich bin sicher, Harry und ich werden zusammen ein sehr angenehmes Leben führen. Ich möchte dieses Haus und die anderen, die Harry gehören, renovieren. Ich werde sie auf den Stand des neunzehnten Jahrhunderts bringen. Wir werden überall Badezimmer einbauen lassen. Das wird dir gefallen, nicht wahr? Du lebst doch gern hier, oder? Du sagtest, daß du dieses Haus und alle, die darin wohnen, magst.«
Sarah Ann holte tief Luft. »Ich liebe auch dich. Und ich liebe Trevelyan, und ich liebe Nyssa.« Und ich liebe Harry, dachte sie, aber das sagte sie nicht. Seit
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