Zwischen Leidenschaft und Liebe
Harry zurückgekommen war, sah er fast so traurig aus wie Claire. Sarah Ann wußte, daß sich beide zu dieser Ehe zwangen. Aber warum? Das war es, was sie nicht verstand.
»Seit wann ist denn das der Fall? Ich dachte, du würdest Nyssa hassen. Sie kann zuweilen sehr grausame Sachen über andere sagen.«
»Aber sie meint sie nicht so. Sie ist. . . ich weiß nicht, aber ich glaube, ich mag sie, weil sie glücklich ist. Ich kenne nicht viele glückliche Menschen.«
»Ich bin glücklich«, sagte Claire.
»Nein, das bist du nicht. Du bist nicht glücklich, und Trevelyan ist nicht glücklich. Auch Harry ist niedergeschlagen. Mir gefällt es hier nicht mehr. Ich will nach Hause. Ich will nach New York zurück.«
Claire strich ihrer Schwester über den Kopf. »Wir haben kein Zuhause mehr in New York«, sagte sie leise. »Wir haben auch Vaters Jacht nicht mehr oder das Häuschen auf dem Land. Alles, was wir haben, sind die Millionen Dollar, an die wir nicht herankommen können, solange ich nicht verheiratet bin. Und ich muß einen Mann heiraten, der mir hilft, auf dieses Geld aufzupassen.«
»Ich glaube nicht, daß mir dieses Geld Spaß macht. Du solltest Trevelyan heiraten.«
Claire zwang sich zu einem Lächeln. »Und von hier Weggehen und irgendwo in einer Hütte leben? Sollte ich dich mitnehmen? Möchtest du von Kokosnüssen leben und nie ein hübsches Kleid tragen?«
»Ist Trevelyan sehr arm?«
»Ich weiß es nicht«, sagte Claire mit einer gewissen Bitterkeit. »Er hat mir nie etwas von sich erzählt. Ich weiß im Grunde gar nichts über ihn.«
»Aber du weißt alles über Harry, was man über ihn wissen kann, nicht wahr?«
Claire seufzte. »Ich fürchte, das stimmt. Ich denke nicht, daß Harry ein sonderlich komplizierter Mensch ist.«
»Ich verstehe nichts mehr«, sagte Brat. »Ich hatte gedacht, daß ich alles begriffen habe, aber jetzt verstehe ich nichts mehr.«
»Ich glaube, das nennt man Erwachsen-werden. Warum machst du jetzt nicht die Augen zu und schläfst ein bißchen?«
Sarah Ann schmiegte sich fester an ihre Schwester und schloß die Augen. Aber sie schlief genauso wenig wie Claire.
23. Kapitel
»Du solltest diese Smaragde tragen«, sagte Brat, als sie in Claires Kassette nach einem passenden Schmuck suchte.
Claire schenkte ihrer Schwester ein schwaches Lächeln. Sie bemühte sich nach Kräften, sich wie ein normaler Mensch zu benehmen und ein glückliches Gesicht zu machen, aber sie war keine gute Schauspielerin. »Die Smaragde würden herrlich dazu passen.«
Claire hatte Sarah Ann erlaubt, für sie ein Kleid zum Dinner auszuwählen, und Brat hatte ihr prächtigstes Ballkleid aus dem Schrank geholt. Claire wußte, daß sie beim Dinner ein bißchen lächerlich aussehen würde, aber das war ihr egal. In den zwei Tagen, die seit ihrem letzten Treffen mit Trevelyan vergangen waren, schien ihr alles gleichgültig geworden zu sein. Sie ging mit Harry spazieren und verbrachte ihre ganze Zeit mit ihm. Sie versuchte sich einzureden, daß sie mit dem Entschluß, Harry zu heiraten, die richtige Entscheidung getroffen hatte. Aber jedesmal, wenn ein Zweig knackte oder jemand ins Zimmer kam, fuhr Claire zusammen.
Trevelyan sitzt wahrscheinlich an einem seiner Tische und ist sich gar nicht bewußt, daß ich hier bin, dachte sie verbittert. Das ist es, was er unter seiner >Liebe< für mich versteht.
Sie blickte in den Spiegel über der Frisierkommode und lächelte ihrer Schwester zu. Arme Brat, dachte sie. In den letzten zwei Tagen hatte Claires Depression sie sehr mitgenommen. Claire war sich früher nie bewußt gewesen, wie wichtig sie für ihre kleine Schwester war. Aber bei einem Vater, der sich entweder damit beschäftigte, Tiere zu töten oder mit seiner Jacht auf dem Meer herumzusegeln, und einer Mutter, die nicht viel anderes tat als eine Party nach der anderen zu organisieren, war Claire die einzige Familie, die Brat hatte.
»Nyssa hat heute morgen gesungen«, erzählte Brat.
Claire, die sich gerade die schwere Kette mit den Smaragden umlegen wollte, hielt mitten in der Bewegung inne. »Wann hast du Nyssa gesehen?« flüsterte sie.
»Ich sehe sie oft. Ich glaube nicht, daß sie jemals schläft. Sie sagt, sie will nichts versäumen, und der Schlaf wäre wie ein kleiner Tod.«
Claire schloß die Kette mit den in Gold gefaßten Smaragden, die alle so groß waren wie ein Daumennagel. Vom hing ein besonders großer, wie eine Träne geformter Smaragd, der ungefähr anderthalb Zoll lang war.
Weitere Kostenlose Bücher