Zwischen Leidenschaft und Liebe
ganze Gebäude nun von Geheimgängen und -treppen durchzogen. Trevelyan und sein älterer Bruder, und manchmal auch Leatrice, hatten diese Gänge gründlich erforscht.
Er zündete eine Kerze an und stieg eine Treppe hinauf, öffnete leise eine Tür und betrat das Zimmer, das einst seinem Vater gehört hatte. Es war so, wie er gedacht hatte: Niemand bewohnte dieses Zimmer. Er ging zu einer Truhe, die an einer Wand lehnte. Seine Hand zitterte ein wenig, als er sie öffnete, denn er konnte am ganzen Körper die Gegenwart seines Vaters spüren. Es war so, als könnte der Mann jeden Moment ins Zimmer kommen.
Trevelyan brauchte nicht lange zu suchen, um das Plaid des Clanchefs zu finden. Es war ein tiefblauer Tartan mit ein bißchen Rot und etwas Grün. Er lächelte, als er an Miss Claire Willoughby dachte. Wollen doch mal sehen, ob sie diesen Tartan identifizieren kann, überlegte er. Trevelyan glaubte nicht, daß dieses Muster in irgendeinem Buch zu finden war, denn das war der Tartan des Montgomery Clans, und nur der Chef hatte das Recht, ihn zu tragen.
Er zog sich aus, behielt jedoch sein Hemd an, breitete dann das meterlange Tuch auf dem Boden aus und versuchte, das zu tun, was er so oft bei seinem Vater beobachtet hatte - sich in das Tuch einzurollen. Bei seinem Vater hatte das so leicht ausgesehen, aber Trevelyan mußte nun entdecken, daß es viel schwieriger war, als er es sich vorgestellt hatte. Kurze Zeit später verfluchte er alles, was schottisch war.
»Du darfst niemals den kleinen Kilt tragen«, hörte Trevelyan seinen Vater zu seinem ältesten Sohn sagen, während er, Trevelyan, im Durchgang stand und die beiden beobachtete. »Ein Clanchef muß seiner Verantwortung gerecht werden. Wenn die Clanchefs nicht die Tradition weiterführen, wird es niemand tun.«
Trevelyan bemühte sich nach Kräften, das Plaid zu wickeln, wie er es bei seinem Vater gesehen hatte. Wenn man schon einen verdammten Rock anziehen mußte, warum konnte es dann nicht ein so kurzer sein, wie Harry ihn trug? Er lächelte über die Antwort: Er wollte ein Mädchen beeindrucken und wußte, daß es von einem langen Rock mehr beeindruckt sein würde als von einem kurzen.
Endlich hatte er den Stoff um die Taille gewickelt und dort mit einem Gürtel befestigt. Er warf das Tuchende über die Schulter und steckte es mit der Brosche seines Vaters fest. Er befestigte die Ledertasche mit dem Silberschmuck an der Hüfte, zog die dicken Socken und die Schuhe mit den Löchern an - Löcher, die dafür sorgten, daß das Wasser, das einem bei dem ewig nassen schottischen Boden in die Schuhe lief, abfließen konnte.
Als er fertig angezogen war, betrachtete er sich im Spiegel, und einen Moment meinte er, seinen Vater in diesem Tartan vor dem Spiegel stehen zu sehen.
Nun drehte Trevelyan sich um und verließ das Zimmer durch die gleiche Tür, durch die er hereingekommen war. Er stieg eine Treppe hinauf, überquerte einen Treppenabsatz und mußte sich bücken, als er in einen kurzen Tunnel schlüpfte. Er war sich nicht sicher, welche Zimmer Claire bewohnte. Aber, seine Mutter war keine sehr phantasiebegabte Frau und hatte ihr sicherlich ein drittklassiges Gästezimmer zugeteilt - die alte Hexe hatte bestimmt keine hohe Meinung von einer Amerikanerin.
Vorsichtig, um keine Geräusche zu verursachen, öffnete er die Geheimtür, und das Porträt seiner Urgroßtante bewegte sich mit ihr.
Inzwischen herrschte draußen schon ein graues Dämmerlicht. Er ging ans Fenster und zog den Vorhang zurück. Sie lag im Bett und schlief auf dem Bauch wie ein Kind. Er lächelte. In dem Bett herrschte ein Chaos. Sie hatte die Decken weggeschoben, und die meisten lagen auf dem Boden.
Er blickte auf sie hinunter und staunte über ihre Jugend. Sie war nicht nur jung an Jahren, sondern wirkte auch grenzenlos unschuldig.
Er setzte sich auf die Bettkante und strich ihr sacht die Haare aus der Stirn. Sie bewegte sich im Schlaf, wachte aber nicht auf. Der Ärmel ihres Nachthemds war bis zum Ellenbogen hinaufgeschoben, und er strich mit der Hand über die glatte Haut. Einen Moment lang war er erschrocken über sein Verlangen, mit den Händen jeden Zoll ihres Körpers zu berühren.
Nicht der Wunsch, ein hübsches kleines Ding wie Claire zu berühren, erschreckte ihn so, sondern daß er sie begehrte. Er wollte, daß sie ihn mit ihren großen blauen Augen mit all dieser flammenden Leidenschaft ansah, die er bei ihr beobachtet hatte, als sie über Bonnie Prinz Charlie gesprochen
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