Zwischen Leidenschaft und Liebe
leicht zu erkennen, was sie darstellen sollten. Es waren Zeichnungen von ihm. Sie zeigten ihn als Straßenräuber, der gehenkt werden sollte. Sie zeigten ihn als kleinen Jungen, der sich von einer Kindergesellschaft abgesondert hatte, mit einem höhnischen Lächeln, als wollte er nicht an ihrer Feier teilnehmen, aber seine Augen wirkten einsam. Und sie hatte ihn als Mann dargestellt, der ganz allein in einem Turm saß.
Als Trevelyan sich die Zeichnungen zum erstenmal ansah, wurde er wütend. Wie konnte sich diese Amerikanerin, diese Miss Niemand, erdreisten, solche Zeichnungen von ihm anzufertigen! Wie konnte sie es wagen, ihn in einem so wenig schmeichelhaften Licht erscheinen zu lassen. Wie konnte sie...
Er betrachtete die Skizzen zum zweiten Mal, und dabei wich sein Zorn einem Gefühl des Gekränktseins. Oman, der so emotionslose Oman, der allen stets ein steinernes Gesicht zeigte, versuchte, nicht laut herauszuplatzen, als er die Zeichnung des Straßenräubers sah.
»Ich kann nichts Witziges daran erkennen«, schnaubte Trevelyan.
»Das trifft Sie genau. Schauen Sie doch hierhin, und das dort. Das sieht Ihnen so ähnlich.«
»Unsinn«, knurrte Trevelyan, während er Oman die Zeichnung aus der Hand riß. »Es ist...« Er hielt inne, denn er erkannte in diesem Augenblick ein bißchen Ähnlichkeit zwischen sich und der Zeichnung. Gegen seinen Willen begann er zu lächeln. »Das könnte ich doch gar nicht sein«, sagte er, aber Oman hatte bereits das Zimmer verlassen.
Trevelyan nahm die Skizzen mit ans Fenster und studierte sie, und während er das tat, wurde sein Lächeln breiter. Wußte sie denn nicht, daß er der große Captain Baker war? Wußte diese kleine unverschämte Amerikanerin nicht, daß niemand über einen Mann mit seinen Verdiensten lachte? Er, Trevelyan, war derjenige, der sich über andere lustig machen durfte.
Er legte die Skizzen aus der Hand, ging zum Feuer und schob die Scheite hin und her. Claire ging ihn nichts an, und alles, was Angus ihm erzählt hatte, änderte daran nichts.
Aber jetzt erinnerte er sich daran, wie Claire ihn bei seinem Malariaanfall gepflegt hatte. Natürlich konnte sie die Anfälle weder verhindern noch die Genesung vorantreiben, aber sie war bei ihm geblieben und hatte sein Geheimnis bewahrt. Sie hatte niemandem erzählt, wer er war.
Er wälzte die brennenden Scheite noch ein paarmal um. Es ging ihn wirklich nichts an, wenn sie sich mit Harrys Mutter anlegen wollte. Harrys Mutter, dachte er und schnitt eine Grimasse. Die Frau war auch seine Mutter. Wenngleich er nie etwas anderes von ihr erfahren hatte als Vorwürfe und Mißhandlungen.
Er wußte, wie furchtbar die alte Frau sein konnte. Sie war zu allem fähig. Hatte sie nicht ihren zweiten Sohn aus dem Haus geschickt, damit er bei diesem alten Bastard, ihrem Vater, wohnen sollte? Sie hatte ihren eigenen Sohn weggeschickt, der gerade neun Jahre alt gewesen war - nicht auf einen Besuch, sondern für immer, damit er nie mehr an dem Leben seiner Familie teilhaben konnte, weil sie ihn für respektlos und unhöflich gehalten hatte. Trevelyan hatte keine zwei Wochen bei dem alten Mann gewohnt, als ihm bereits klar war, wie sehr seine Mutter ihn gehaßt hatte.
Und was würde die Herzogin mit Claire anstellen, wenn sie entdeckte, daß Claire versucht hatte, sich ihrer Position zu bemächtigen? Würde sie Claire zu einer Gefangenen machen, wie sie es mit Lee getan hatte? Und wer könnte Claire verteidigen? Harry sicherlich nicht. Ihm wäre der Rummel, der dabei entstehen mußte, lästig. Harry würde alles vermeiden, was seine Jagdtermine durcheinanderbrachte. Würden Claires Eltern sie verteidigen? Nach allem, was Trevelyan über sie gehört hatte, mußte er das bezweifeln. Sie hätten ja bekommen, was sie sich wünschten - selbst wenn das zu Lasten ihrer Tochter ging.
Also würde sich letztendlich an dem bestehenden Zustand nichts ändern. Die Herzogin könnte nach wie vor eine vollkommene und absolute Herrschaft über dieses Haus und dessen Bewohner ausüben - und seine Schwester und Claire wären die Gefangenen dieser Frau. Das Leben würde weitergehen wie bisher.
Trevelyan versuchte sich auszumalen, wie Claires Leben unter der Regierung der alten Frau aussehen würde. Jedenfalls könnte sie nie mehr in Angus MacTarvits Hütte sitzen und Whisky trinken oder mit den Bauern tanzen. Tatsächlich würden wahrscheinlich gar keine Bauern mehr da sein, mit denen sie tanzen konnte. Trevelyan hatte Harry zwar nicht danach
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