Zwischen Licht und Dunkel
es einen speziellen Ausschuss geben, der die Festlichkeit organisiert. Während des Essens werden dann Sketche vorgeführt und Reden geschwungen – so satirisch wie möglich. Jedes Gemeindemitglied bekommt dabei sein Fett weg. Die Beschreibung erinnerte mich an das bayerische „Politiker derblecken“, das besonders beim jährlichen Starkbieranstich auf dem Münchener Nockherberg Tradition ist.
Ganz allgemein lässt sich die traditionelle Küche Islands am trefflichsten mit den Worten „aus Mangel geprägt“ beschreiben. Man hatte nicht viel, und was man hatte, wurde (fast) mit Haut und Haar verspeist. Bisweilen treten dabei auch interessante und durchaus gewöhnungsbedürftige Kombinationen von Süß und Pikant zu Tage. Reisbrei mit Zimtzucker und Rosinen zusammen mit Blut- und Leberwurst beispielsweise. In der Kategorie „echtes Kulturerlebnis“ rangiert bei mir die Beobachtung, wie eine Schale solchen Reisbreis Löffel für Löffel im Mund meines Tischnachbarn verschwand, im rhythmischen Wechsel mit Schafwurststückchen. Oder soll der Brei eher den knurrenden Mägen derjenigen zu Hilfe kommen, die von den traditionellen Inselgerichten weniger begeistert sind? Es überrascht mich nicht, dass vor allem Vertreter der älteren Generation für die „alten“ Lebensmittel eine besondere Vorliebe haben.
Falls nach diesen Ausführungen dem einen oder anderen Leser der isländische Geschmack etwas abwegig vorkommt, will ich ihm eines vor Augen halten: Wir Deutschen essen saure Lunge und Nieren, Saukopf und Geflügelinnereien in Blutsoße … Sind wir um einen Deut besser?
Ich gebe jedoch Entwarnung: Der tagtägliche Speiseplan Islands ist trotzdem äußerst breitentauglich. Isländer sind im allgemeinen ein Volk der Fischund Fleischesser. Fiskur und anderes Meeresgetier einschließlich Hummer gehören seit jeher auf den Teller, war und ist die Fischerei doch ein wichtiges Stück Inselleben. Fleisch hat in erster Linie als lambakjöt , Lammfleisch, lange Tradition. Und dabei kann ich eines versichern: Fisch und Lamm sind hier von ganz vorzüglicher Qualität. Um Lammfleisch hatte ich vor Beginn meiner Islandkarriere einen großen Bogen gemacht, kannte ich doch nur die Geschichte vom alten zähen Hammel. Aber hier ließ ich mich von seiner Güte überzeugen.
Der fiskur auf dem Essteller fällt im einfachsten Fall als Schellfisch oder Kabeljau aus. In der Pfanne gebacken oder gedünstet mit gekochten Kartoffeln als Beilage, stellt er eines der isländischen Alltagsgerichte dar. Etwaige Fisch- und Kartoffelreste lassen sich grob zerdrücken und in Mehlschwitze mit Zwiebeln vereinen. Schon wieder ist eine Mahlzeit fertig: plokkfiskur , zu dem am besten dick mit – übrigens meistens gesalzener – Butter bestrichenes rúgbrauð , Roggenbrot, passt. Dieses tiefbraune und deutlich süßliche Brot lässt sich am ehesten mit deutschem Pumpernickel vergleichen, der ebenfalls sehr lange bei niedriger Temperatur gebacken wird. Mitunter wird rúgbrauð sogar als nach alter Tradition gebackenes „Quellenbrot“ verkauft. Denn Feuerholz zum Backen war früher knapp. Alternativ dazu stellte Mutter Natur höchstpersönlich heiße Quellen oder Erde in vulkanisch aktiven Zonen zu Verfügung. Der geothermale Backofen war entdeckt. Heute noch gilt Quellenbrot als besondere Spezialität.
Genauso unentbehrlich wie zu plokkfiskur ist bebuttertes rúgbrauð als Beilage zu síld , Heringshäppchen in Senf-, Curry- oder Gewürzmarinade. Wirklich lecker. Ein etwas ungemütliches Gefühl beschleicht mich persönlich dagegen, wenn es um harðfiskur geht, getrockneten Fisch. Ihn könnte man vielleicht als isländisches „Geld“ der alten Tage bezeichnen, mit dem vor allem ausländische Händler bezahlt wurden. Gleichzeitig war harðfiskur auch das „Brot“, mit dem die sonst einseitige Diät bereichert wurde. Denn Mehl war damals nicht alltäglich. Heute noch wird getrockneter Fisch gerne – so wie Brot – großzügig mit Butter bestrichen. Nur einmal schmeckte mir harðfiskur wirklich gut: an einem Zeltabend im isländischen Hochland, nach einem anstrengenden Trekkingtag. Nicht nur als getrocknetes Filet, auch in mundgerechten Stückchen ist der Trockenfisch erhältlich, die ähnlich wie Kartoffelchips abgepackt sind. Etwas Geduld muss der Verzehrer allerdings beweisen, um die Bissen mit Speichel aufzuweichen. Wer es eilig hat, der wird Trockenfisch-Essen eher mit „Sägespäne essen“ assoziieren, wie es einmal beschrieben
Weitere Kostenlose Bücher